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Achtsamkeit - Heute. Hier. Jetzt.
Lesedauer: Ca. 7 Minuten
Nehmen Sie sich einen Moment Zeit. Schliessen Sie die Augen und atmen Sie tief ein und aus.
Achtsamkeit lässt sich sehr gut mit einem Zitat von Leo Tolstoi beschreiben: «Denke immer daran, dass es nur eine wichtige Zeit gibt: Heute. Hier. Jetzt.». Achtsamkeit hat in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen und wird oft als "Allheilmittel" für die Herausforderungen des modernen Lebens beschrieben. Ob Stressabbau, Hilfe bei Depressionen oder Unterstützung im Coaching – Achtsamkeit eröffnet neue Wege, um bewusster und erfüllter zu leben.
Von Sonja Kupferschmid und Pascal von Känel
Mit vollem Bewusstsein im Hier und Jetzt zu sein, mag einfach klingen, doch in einer Welt voller Ablenkungen fällt es vielen Menschen schwer. Kinder beherrschen diese Kunst noch instinktiv: Sie gehen in ihren Tätigkeiten auf, sind präsent und neugierig. Leider verlernen wir diese Fähigkeit mit der Zeit und übernehmen stattdessen die rastlosen Muster von Erwachsenen. Die gute Nachricht? Mit gezieltem Training lässt sich Achtsamkeit wieder kultivieren (Beckermann, 2024).
Bewusst im Hier und Jetzt ohne Wertung
Es gehören drei Komponenten zur Achtsamkeit. Das bewusste Fokussieren, das Hier und Jetzt und das Nicht-bewerten. Man soll sich also bewusst auf den gegenwärtigen Moment fokussieren, ohne etwas zu bewerten oder auf irgendeine Weise verändern zu wollen (Beckermann, 2024). Konkret sieht das so aus, dass man sich bewusst auf das Hier und Jetzt konzentriert und einfach bemerkt, was in einem oder um einen herum geschieht: «Ich sehe einen Hund, der an mir vorbeiläuft, er hat ein weisses Fell. Mein Magen knurrt. Ich rieche den Duft von frisch gebackenen Brezeln.». Achtsam sein kann man bei jeglichen Praktiken: Gehen, Essen, Atmen oder sogar einfache Tätigkeiten wie Geschirrspülen. Es geht darum, bewusst wahrzunehmen, was geschieht, anstatt sich in Gedanken oder Sorgen zu verlieren. Eine gute Einstiegsübung ist bewusstes Atmen. Man konzentriert sich dabei nur auf die eigene Atmung, ohne diese verändern zu wollen. Wenn man wieder abschweift, soll man dies bemerken und sich wieder zurück auf die Atmung konzentrieren. Diese Übung hilft, den Kontakt zum Körper zu spüren, den Dauerstrom an Gedanken zu unterbrechen und sie bringt uns in den gegenwärtigen Augenblick zurück.
«Achte einfach auf den jetzigen Moment, ohne zu versuchen, ihn auf irgendeine Weise zu verändern.»
Jon Kabat-Zinn
Was die Wissenschaft über Achtsamkeit sagt
Die wissenschaftlich nachgewiesenen Vorteile regelmässiger Achtsamkeitspraxis sind vielfältig und wirken sich positiv auf Körper und Geist aus. Durch kontinuierliches Achtsamkeitstraining werden Menschen nachweislich wacher und aufmerksamer in ihrem täglichen Leben. Sie entwickeln eine bessere Stress-Resilienz und können belastende Situationen gelassener bewältigen. Besonders bemerkenswert ist, dass Achtsamkeitsübungen auch messbare physiologische Effekte haben: Sie stärken das Immunsystem und verändern sogar bestimmte Gehirnbereiche. So schrumpft beispielsweise die Amygdala, der Teil des Gehirns, der für Ängste zuständig ist, während der Hippocampus, der wichtig für Gedächtnisfunktionen ist, wächst. Ein weiterer positiver Effekt zeigt sich im zwischenmenschlichen Bereich: Menschen entwickeln durch regelmässige Achtsamkeitspraxis mehr Wohlwollen – sowohl sich selbst als auch anderen gegenüber. All diese Faktoren tragen zu einer gesteigerten Lebensfreude und grösseren Zufriedenheit bei (Kuss, 2014).
«Du kannst die Wellen nicht stoppen, aber du kannst lernen zu surfen.»
Jon Kabat-Zinn
Wie kann Achtsamkeit im Coaching eingesetzt werden?
Achtsamkeit erweist sich als wertvolles Instrument im Coaching-Prozess, das auf verschiedenen Ebenen wirksam eingesetzt werden kann. Coaches können ihre Klientinnen und Klienten dazu anleiten, parallel zum Coaching Achtsamkeitsübungen zu praktizieren. Die dabei gewonnenen Beobachtungen und Erfahrungen fliessen dann in die gemeinsame Reflexion ein. Besonders wertvoll ist auch die eigene Achtsamkeitspraxis der Coaches selbst: Sie verhilft ihnen zu mehr Gelassenheit und Klarheit in den Sitzungen, ermöglicht aufmerksameres Zuhören und stärkt ihre Fähigkeit, Klientinnen und Klienten vorurteilsfrei wahrzunehmen. In der praktischen Umsetzung hat es sich bewährt zunächst über einfache Atemübungen an das Thema heranzuführen, da hier meist schnell positive Effekte spürbar werden. Diese können dann schrittweise durch weitere Achtsamkeitsübungen wie bewusstes Essen oder achtsame Spaziergänge ergänzt werden (Wolff, 2023).
«Der gegenwärtige Moment ist die einzige Zeit, über die wir bestimmen können.»
Thích Nhất Hạnh
Mehr Achtsamkeit im Alltag
Achtsamkeit lässt sich mit einfachen, aber wirkungsvollen Methoden in den Alltag integrieren. Besonders effektiv ist es, kleine tägliche Routinen bewusster zu gestalten – sei es beim Duschen, beim Morgenkaffee oder auf dem gewohnten Spaziergang. Einfach achtsam mit allen Sinnen die Umgebung wahrnehmen bei diesen Tätigkeiten. Auch bewusstes Atmen kann jederzeit praktiziert werden und hilft dabei, in stressigen Situationen wieder zur Ruhe zu kommen. Eine weitere wichtige Übung ist das achtsame Essen: Statt nebenbei aufs Smartphone zu schauen oder Zeitung zu lesen, sollte man sich vollständig auf die Mahlzeit konzentrieren und sie mit allen Sinnen geniessen. Auch der bewusste Umgang mit dem Smartphone spielt eine wichtige Rolle – regelmässige Digital-Detox-Phasen können helfen, präsenter im Moment zu sein. Ein persönliches "Ruhe-Ritual" wie Spazierengehen oder Musik hören sowie das regelmässige Praktizieren von Dankbarkeit sind weitere Möglichkeiten, um mehr Achtsamkeit in den Alltag zu bringen (Wagner, o. D.).
«Es gibt überall Blumen für den, der sie sehen will.»
Henri Matisse
Achtsamkeit trainieren durch die 5-4-3-2-1-Übung
Bei der 5-4-3-2-1-Übung lernt man achtsam seine Umgebung zu beobachten. Diese Übung kann zu jederzeit angewendet werden und wird folgendermassen durchgeführt:
- Nennen Sie 5 Dinge, die Sie sehen
- Nennen Sie 4 Dinge, die Sie hören
- Nennen Sie 3 Dinge, die Sie spüren
- Nennen Sie 2 Dinge, die Sie riechen
- Nennen Sie 1 Ding, das Sie schmecken
Mit der Übung werden alle Sinne angesprochen und es ist wichtig, dass die genannten Dinge nicht bewertet werden, sondern einfach wahrgenommen werden, ganz im Sinne der Achtsamkeit. Durch die Übung bringen Sie sich in die Gegenwart zurück in Ihren Körper an den Ort, an dem Sie sich gerade befinden (Dolan, 2009). Durch die regelmässige Anwendung dieser Übung können Sie lernen, Ihre Aufmerksamkeit bewusster zu steuern, was zu einer erhöhten Achtsamkeit und einer besseren Stressbewältigung im Alltag führt.
Exkurs: Die Manaña-Kompetenz
Die Mañana-Kompetenz nach Frank und Storch bietet einen erfrischend individuellen Ansatz zur Achtsamkeit. Anders als standardisierte Entspannungstechniken setzt sie bei persönlichen Wohlgefühlen an, die jeder Mensch aus seiner eigenen Erfahrung kennt – sei es ein warmes Bad, das Treffen mit Freunden oder ein Spaziergang in der Natur. Im Kern geht es darum, diese individuellen Momente des Wohlbefindens bewusst in den Alltag zu integrieren. Dies geschieht durch sogenannte Mañana-Rituale: kleine, regelmässige Auszeiten, die den Tag strukturieren. Das können bewusst gestaltete Mittagspausen sein, ein achtsames Feierabend-Ritual oder auch kurze Momente der Besinnung zwischendurch.
Zur nachhaltigen Integration dieser Rituale werden persönliche Erinnerungshilfen genutzt – etwa ein besonderes Bild am Arbeitsplatz oder ein bedeutungsvoller Gegenstand, der an das gewünschte Wohlgefühl erinnert. Die Mañana-Kompetenz lädt dazu ein, den eigenen Weg zur Achtsamkeit zu finden und zu kultivieren, statt vorgegebenen Entspannungsmustern zu folgen. Sie zeigt, dass Achtsamkeit nicht kompliziert sein muss, sondern in den kleinen, persönlichen Momenten des Alltags zu finden ist (Frank & Storch, 2021).
Quellenangaben
Beckermann, A. (2024). Achtsamkeit – Wie bewusste Wahrnehmung helfen kann. [Podcast]. Welt. https://www.welt.de/podcasts/aha-zehn-minuten-alltags-wissen/article249337500/Achtsamkeit-Wie-bewusste-Wahrnehmung-bei-Stress-helfen-kann.html
Dolan, Y. (2009). Schritt für Schritt zur Freude zurück: Das Leben nach traumatischen Ereignissen meistern. Carl Auer.
Frank, G. & Storch, M. (2021). Die Mañana-Kompetenz – Wert Pausen macht, hat mehr vom Leben. Piper.
Kuss, M. (2014). Achtsamkeit aus medizinischer Sicht. planet wissen. https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/psychologie/achtsamkeit/pwieachtsamkeitindermedizin100.html
Wagner, C. (o. D.). 11 leicht umsetzbare Tipps für mehr Achtsamkeit im Alltag. Stressbehandlung.info. https://stressbehandlung.info/11-leicht-umsetzbare-tipps-fuer-mehr-achtsamkeit-im-alltag/
Wolff, J. (2023). Achtsamkeitsübungen im Coaching – Achtsamkeit im und für Coaching nutzen. Coaching-Magazin. https://www.coaching-magazin.de/konzepte/achtsamkeitsuebungen-im-coaching
Die Autorenschaft
leitet als Co-Geschäftsführerin das Coachingzentrum in Olten. Die Arbeits- und Organisationspsychologin verbindet ihre Expertise in Produktentwicklung mit fundierter Coaching-Erfahrung und hat das Weiterbildungsportfolio des Coachingzentrums wesentlich mitgeprägt. Mit ihrer langjährigen Praxis hat sie sich als Spezialistin in den Bereichen Coaching, betriebliches Mentoring, Resilienztraining, Teamcoaching und Supervision etabliert.
befindet sich im Masterstudium für Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie & Verhaltensmedizin an der Universität Bern. Mit ersten Berufserfahrungen im Bildungswesen und der Psychiatrie unterstützt er das Coachingzentrum als Praktikant in der Produktentwicklung sowie im Bereich Marketing und Kommunikation.
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{Was bedeutet Achtsamkeit?}
Achtsamkeit bedeutet, bewusst im Hier und Jetzt zu sein, ohne den Moment zu bewerten oder verändern zu wollen. Es geht darum, die eigenen Gedanken, Gefühle und Sinneseindrücke bewusst wahrzunehmen, anstatt sich in Sorgen oder Ablenkungen zu verlieren.
{Welche Vorteile hat Achtsamkeit für die Gesundheit?}
Regelmässige Achtsamkeitspraxis verbessert die Stressresistenz, fördert emotionale Ausgeglichenheit und steigert die Lebensqualität. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Achtsamkeit das Immunsystem stärkt, die Konzentration verbessert und sogar positive Veränderungen in Gehirnbereichen bewirken kann, die für Angst und Gedächtnis zuständig sind.
{Wie kann ich Achtsamkeit in meinen Alltag integrieren?}
Achtsamkeit kann durch einfache Routinen wie bewusstes Atmen, achtsames Essen oder das Wahrnehmen der Umgebung auf Spaziergängen geübt werden. Digitale Auszeiten sowie das bewusste Geniessen von alltäglichen Momenten helfen ebenfalls, Achtsamkeit im Alltag zu verankern.
{Wie kann Achtsamkeit im Coaching eingesetzt werden?}
Im Coaching wird Achtsamkeit genutzt, um Klientinnen und Klienten zu mehr Selbstwahrnehmung und Klarheit zu verhelfen. Coaches setzen Achtsamkeitsübungen wie Atemtechniken oder bewusstes Spüren ein, um Gelassenheit und Präsenz zu fördern. Dies unterstützt eine tiefere Reflexion und eine bewusstere Entscheidungsfindung.
{Warum fällt es vielen Menschen schwer, achtsam zu sein?}
Moderne Lebensgewohnheiten sind oft von Hektik, Multitasking und ständiger Ablenkung geprägt. Während Kinder noch ganz natürlich im Moment leben, verlernen Erwachsene diese Fähigkeit oft durch gesellschaftliche Erwartungen und die digitale Reizüberflutung. Doch Achtsamkeit kann durch gezieltes Training wieder erlernt werden.
{Was ist die Mañana-Kompetenz und wie hilft sie bei Achtsamkeit?}
Die Mañana-Kompetenz ist ein Konzept, das auf persönliche Wohlfühlmomente setzt. Sie fördert achtsame Rituale, die individuell an die eigenen Bedürfnisse angepasst sind – wie ein entspannendes Bad, ein Spaziergang oder bewusste Pausen. Diese Methode hilft, Achtsamkeit spielerisch und nachhaltig in den Alltag zu integrieren.
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