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Die Kraft des Lebenspanoramas

Mit den Ressourcen unserer eigenen Geschichte im Gepäck besser mit Herausforderungen in der Gegenwart umgehen

Eine dankbare Haltung unserem Lebensweg gegenüber, macht uns selbstwirksamer und auch unsere Emotionen können wir dadurch besser regulieren. Sich dabei kreativ auszudrücken, bietet eine zusätzliche Quelle, um das Lebenspanorama in seiner ganzen Kraft zu entfalten.

Von Sonja Kupferschmied Boxler

«Was wir in der Fülle unseres vergangenen Lebens verwirklicht haben, diesen inneren Reichtum kann uns keiner mehr nehmen. All das haben wir in die Wirklichkeit hineingerettet. Und mag es auch vergangen sein - eben in der Vergangenheit ist es für die Ewigkeit gesichert! Denn vergangen sein ist auch eine Art von Sein, ja vielleicht die sicherste.» (Frankl 1948)

 

Die Bedeutung unserer Lebensgeschichte

Unser Leben besteht aus verschiedenen Bereichen - je nach dem mit welcher Haltung wir unterwegs sind, geben wir dem einen oder anderen mehr Gewicht. Welchen Dingen wir wie viel Bedeutung schenken ist sehr individuell und beeinflusst unser Lebenspanorama nachhaltig.

Im Kontakt mit alten, kranken oder sterbenden Menschen werden wir oft Zeuge des Bedürfnisses die eigene Lebensgeschichte zu erzählen und Bilanz zu ziehen. Diese Erkenntnis ebnete den Weg für die Arbeit mit dem «Lebenspanorama», ein bewährtes Mittel, um aus der Kraft der Erinnerungen zu schöpfen (Petzold & Lückel 1985). Ursprünglich ein diagnostisches und therapeutisches Instrument, wird dieses heute oft in der Begleitungsarbeit eingesetzt. Denn unsere eigene Geschichte kann uns in herausfordernden Situationen wichtige Erkenntnisse liefern und vorhandene Ressourcen stärken. Unsere Erinnerungen widerspiegeln unsere Identität und zeigen auf, wie wir uns selbst sehen und verstehen. Wenn wir Menschen in ihrer Resilienzentwicklung professionell begleiten, sollten wir im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung, den Lebensweg der Person miteinzubeziehen. Eine positive Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbstverständnis ist ein wichtiger Schritt in der Resilienzförderung. Indem wir uns über unsere Geschichte mit dem liebevollen Auge der Dankbarkeit Gedanken machen, können wir nämlich die Ressourcen der Vergangenheit für aktuelle Herausforderungen nutzen.

 

Die Arbeit mit dem «Lebenspanorama»

Über das autobiografische Gedächtnis gelangen wir zum eigenen Lebenspanorama. Dieses ist jedoch nicht immer zuverlässig und unsere Erinnerungen verändern sich im Laufe des Lebens. Die Gedächtnisforschung zeigt, dass die autobiografischen Erinnerungen nicht objektive, sondern subjektive Rekonstruktionen von Ereignissen sind. Wie sich die Wahrnehmung unserer Autobiografie im Laufe der Zeit wandelt, widerspiegelt die Entwicklung des eigenen Selbstverständnisses. Wenn wir uns also mit dem eigenen Lebenspanorama auseinandersetzen, verändern wir auch den Blick auf uns selbst (Perring-Chiello 2014).

Bei der Arbeit mit dem Lebenspanorama führen sich die Teilnehmenden ihren individuellen Lebensweg in einer Gesamtschau vor Augen, indem sie wichtige Ereignisse und Episoden in einem Bild darstellen. Bei der Arbeit mit dem «Lebenspanorama» ist es wichtig der Kreativität freien Lauf zu lassen und Farben, Formen, Muster und Symbole zu nutzen, um den Lebensverlauf zu verbildlichen. Zudem sollte bewusst eine Vogelperspektive eingenommen werden. Die Teilnehmenden werden so zum Autor/zur Autorin Ihrer eigenen Lebensgeschichte und entwickeln so ihre Resilienz weiter.

 

Dankbarkeit und Kreativität – Wirkfaktoren der Lebensrückschau

Dankbarkeit ist eine der wirksamsten Glücksstrategien und ein wichtiger Wirkfaktor im Zusammenhang mit dem «Lebenspanorama». Indem wir positiv auf unseren Lebensweg zurückblicken, kann diese konkret gelebt werden. Drücken wir uns dabei auch noch kreativ aus, kann zusätzlich der Horizont erweitern werden. Denn Kreativität (sei es beim Zeichnen oder Schreiben) geht mit einer neugierigen Haltung einher und lässt uns dadurch die Welt immer wieder neu wahrnehmen. Dieser Perspektivenwechsel ermöglicht uns Ressourcen in der eigenen Vergangenheit zu finden und zu stärken. Zusammen entfalten diese zwei unterstützenden Wirkfaktoren die Kraft des «Lebenspanoramas».

 

Die Wirksamkeit unserer Erinnerungen

Aktuelle Forschung hat den Zusammenhang zwischen dem autobiografischen Gedächtnis und spezifischen Ressourcen untersucht. Dabei sind konkrete Kompetenzen herausgefiltert worden, die durch die Arbeit mit dem Lebenspanorama gestärkt werden können. Eine Studie von Paesch und Kollegen (2021) hat beispielsweise gezeigt, dass eine positive Selbsteinschätzung von Erinnerungen dazu führt, dass Personen selbstwirksamer unterwegs sind, Emotionen besser regulieren können und insgesamt ein besseres psychisches Wohlbefinden haben. 

Zusammenfassend ist zu sagen, dass unsere Rückblicke subjektiv sind und beeinflussen, wie wir uns und die Welt sehen. Mit einer dankbaren Haltung können wir unsere vergangenen Ressourcen für zukünftige Herausforderungen zu nutzen. Die Arbeit mit dem „Lebenspanorama“ bietet diese Möglichkeit und stärkt so unsere Resilienz.


Literaturverzeichnis

Frankl, V. (1948). Der unbewusste Gott. Amandus: Wien.

Paersch, C., Schulz, A., Wilhelm, F. H., Brown, A. D., & Kleim, B. (2021). Recalling Autobiographical Self-Efficacy Episodes Boosts Reappraisal-Effects on Negative Emotional Memories, In: Emotion, S.1-11.

Perrig-Chiello, P. (2014). Autobiografische Erinnerung: Fakt oder Fiktion?, In: UniPress, S.16-17.

Petzold, H.G. & Lückel, K. (1985). Die Methode der Lebensbilanz und des Lebenspanoramas in der Arbeit mit alten Menschen, Kranken und Sterbenden. In: Mit alten Menschen arbeiten, S.467-499.



Autorin: Sonja Kupferschmid Boxler

Ist beim Coachingzentrum Olten – dem Kompetenzzentrum für Coaching, betriebliches Mentoring, Supervision und Resilienztraining – in der Geschäftsführung tätig und hat sich beim Auf- und Ausbau des Weiterbildungsangebotes vertieft mit dem Thema Verhaltensveränderungen auseinandergesetzt.


 

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