Publiziert am

Die U-Kurve des Glücks – ein Zufriedenheitsparadoxon

«Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an!» - dieser Satz von Udo Jürgens stimmt nicht genauso, aber die Wissenschaft zeigt, nach der Midlife-Crisis geht es wieder Berg auf und das trotz objektiv vielleicht weniger guter Lebensumstände und zunehmender körperlicher Schwächen. Den Ergebnissen zufolge verändert sich unsere Zufriedenheit im Laufe des Lebens und folgt dabei einer sogenannten U-Kurve. Eine Achterbahnfahrt, die paradox erscheint und deshalb auch verschiedene Ursachen zu bieten hat.

Von Sonja Kupferschmid Boxler

Die Forschung zeigt, dass wir uns im Alter von 20 Jahren am wohlsten fühlen. Danach nimmt die Lebenszufriedenheit ab, bis sie ab dem 50. Lebensjahr wieder steigt. Über das ganze Leben hinweg betrachtet verläuft unsere Zufriedenheit also scheinbar einer U-förmigen Kurve. Damit ist gemeint, dass Menschen vielen Umfragen zufolge in der Jugendzeit zufriedener waren als in der Lebensmitte, und dass danach die Zufriedenheit wieder steigt, auf das Niveau der Jugend oder sogar darüber hinaus. In der Soziologie wird dieses Phänomen als Zufriedenheits- oder Wohlbefindens-Paradoxon bezeichnet. Obwohl wir im Alter gebrechlicher werden und unsere Kräfte schwinden, scheint es uns besser zu gehen (Blanchflower, 2021).

Das Leben ist eine Achterbahn

«Das Leben gleicht einer Achterbahn» trifft beim Betrachten der U-Kurve tatsächlich zu. Forscherinnen und Forscher zeigen nämlich, dass die Abschnitte unserer Lebenszufriedenheit den einzelnen Etappen während einer Fahrt in einer Achterbahn gleichen – von himmelhochjauchzend, über am Boden der Tatsachen ankommen, zu die Spitze des Berges wieder erklimmen – ist alles dabei:

1. Himmelhochjauchzend:

Wir sind gerade in die Achterbahn eingestiegen und fahren langsam dem höchsten Punkt entgegen. Das Kinder- und Jugendalter zeichnet sich durch Neugier, Begeisterungsfähigkeit und den Glauben an eigene Ziele und Wünsche aus. Es ist eine Phase der Zufriedenheit, der Sicherheitsgurt hält uns fest im Sitz – uns kann nichts passieren.

2. Der Boden der Tatsachen:

Nun geht die Achterbahnfahrt abwärts und wir rasen dem Boden der Tatsachen entgegen. Ab Mitte 20 erkennen wir oft, dass unsere Ziele nicht immer ganz so einfach zu erreichen sind und Erfolge zum Teil hart erkämpft werden müssen. Die Abfahrt kann manch einem Angst machen und wir schalten in einen Absicherungsmodus. In dieser Phase ist auch oft von der Midlife-Crisis die Rede – wir stellen unser bisheriges Leben in Frage. Diese Etappe ist durch zunehmende Unzufriedenheit geprägt und der scheinbar sichere Achterbahnwagen droht zu entgleisen.

3. Die Spitze des Berges erklimmen:

Wir sind am tiefsten Punkt angelangt, der Achterbahnwagen ist noch ganz und wir fahren unerwartet allmählich wieder bergauf. Im Alter von 50 Jahren steigt die Zufriedenheit wieder an. Aufgrund der rasanten Abfahrt, die hinter uns liegt, sind wir gelassener, weiser und haben eine Art inneren Frieden gefunden. Bevor wir aus der Achterbahn aussteigen, erklimmen wir noch einmal die Spitze des Berges.  

Können wir also anhand dieser Erkenntnisse aus der Wissenschaft sagen, dass die Zufriedenheit nur vom Alter abhängt und wir daher nur abzuwarten haben, bis wir älter sind und die Spitze des Berges zum zweiten Mal erklimmen? Die Antwort ist nein – in der zweiten Lebenshälfte wird nicht automatisch alles besser. Die gute Nachricht ist aber, dass nebst dem Alter noch andere Faktoren unsere Zufriedenheit mitbestimmen, und diese können wir selber beeinflussen.

Wieso alt sein allein nicht glücklich macht

Wie wir die Fahrt in der Achterbahn erleben, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Zum einen geht es darum, wie sie gebaut ist, wirkt sie beispielsweise neu oder eher abgenutzt. Zum anderen spielen die Sicherheitsmöglichkeiten, ist beispielsweise ein Sicherheitsgurt und eine funktionierende Notbremse vorhanden, eine Rolle. Zum Schluss sind auch die persönlichen Faktoren ausschlaggeben, also habe ich beispielsweise Höhenangst oder habe ich in der Vergangenheit bereits einen Unfall in einer ähnlichen Situation erlebt.

Im Übertragenen Sinne hängt unsere Zufriedenheit nebst dem Alter also etwa vom Bildungsgrad, vom Einkommen und der finanziellen Stabilität, von der Gesundheitsversorgung und von den persönlichen Ressourcen und Schutzfaktoren ab. Zudem spielt die Definition von Zufriedenheit eine wichtige Rolle. Und obwohl jede Generation, jedes Land und Kultur ein eigenes Verständnis dieses Begriffes haben, können wir uns fragen: Was ist mir persönlich im Leben wichtig? Oder was macht mich glücklich? Die individuellen Antworten weisen uns den Weg und prägen unsere Kurve nachhaltig. Wir können uns also nicht einfach zurücklehnen und abwarten, wir müssen aktiv werden und uns fragen, welche Faktoren uns zufrieden machen. Indem wir an diesen persönlichen Schrauben drehen, können wir den Achterbahnwagen lenken und so unsere Fahrt durchs Leben selber gestalten (Von Hirschhausen & Esch, 2018).

Exkurs: «Andere Länder, andere Glücks-Kurven»

Länder- und Kulturübergreifende Untersuchungen konnten zeigen, dass sich weltweit nicht nur die eine U-Kurve, sondern noch zwei weitere Verläufe des Glücks abzeichnen. In gewissen Ländern wie den USA, China und Australien, zeigt sich ein eher negativer Verlauf. Die Menschen werden im Laufe des Lebens immer unzufriedener. Erst im Alter erleben sie einen kleinen Aufschwung. Auch viele Entwicklungs- und Schwellenländer schneiden schlecht ab. In Ländern wie Indien, Pakistan, Algerien und Ägypten fällt die Zufriedenheit gemäss Untersuchungen stetig weiter ab. Die Achterbahn rast in diesen Ländern also immer tiefer ins Tal, ohne Aussicht auf einen zweiten Aufstieg (Bittmann, 2021).

Erwartungen machen die Musik

Viele Wege führen nach Rom – so ist es auch mit den Erklärungen zur U-Kurve. Denn obwohl sich die Wissenschaft intensiv mit den Ursachen der U-Kurve des Glücks beschäftigt hat, gibt es keine abschliessende Antwort. Eine oft vertretene Erklärung geht aber davon aus, dass Erwartungen an das eigene Leben für das Wohlbefinden entscheidend sind. Umfragen zeigen, dass die unerfüllten Hoffnungen im mittleren Alter als besonders schmerzhaft empfunden werden. Wenn wir diese im Verlauf des Lebens aber aufgeben oder anpassen, steigt die Zufriedenheit wieder an. Ergänzend wird vermutet, dass die hohen Erwartungen junger Erwachsener oft nicht eintreffen, was zu einem Abfall der Zufriedenheit im mittleren Alter führt. Ältere Menschen andererseits sind realistischer was ihre Hoffnungen angeht - und werden deshalb wieder zufriedener. Eine andere Ursache für den Aufschwung könnte sein, dass wir uns im hohen Alter weniger über verpasste Chancen aufregen. Indem wir unsere Erwartungen nach unten korrigieren, geht die Kurve also bergauf. Doch dies ist einfacher gesagt als getan – je nach Lebenssituation können professionelle Begleitungspersonen dafür Unterstützung bieten (Gross, 2017).

In der Praxis - Begleitungsarbeit für mehr Zufriedenheit

Begleitungspersonen haben viele Möglichkeiten Menschen bei der Selbstbestimmung ihrer U-Kurve zu unterstützen. Einerseits indem sie mit den Kundinnen und Kunden eine für sie passende Definition von Zufriedenheit finden. Diese sollte weniger von äusseren Faktoren abhängen als von ihren eigenen Ressourcen - Um das Glück zu fördern, wird der Fokus weg von rein gesellschaftlich definierten Statussymbolen auf veränderbare und selbstbestimmbare Dinge gelegt. Zudem ist es wichtig die Ressourcen des Gegenübers zu aktivieren und zu fördern, da diese die rasante Abfahrt puffern und die Kurve abflachen können. Indem Begleitungspersonen Themen wie Werteentwicklung und eine unterstützende Grundhaltung aufnehmen, sowie mit ihren Kundinnen und Kunden ressourcenfördernde Tools anwenden, wird hier Unterstützung geboten. Andererseits können wir durch eine positive Bewertung von Erfahrungen und das Setzen von erreichbaren Zielen die Zufriedenheit hochhalten. In der Begleitungsarbeit werden dafür somatischen Marker eingesetzt oder mit dem Gegenüber Motto-Ziele erarbeitet.

Alles in allem können wir uns merken: Wenn wir die Dinge selber in die Hand nehmen, gestalten wir unser Leben und Erleben mit. Wenn wir also mit der Achterbahn an der Spitze des Berges angekommen sind, sollten wir nicht einfach die Arme in die Luft strecken und laut schreien, sondern nach vorne schauen und überlegen wo wir als nächstes entlangfahren wollen – damit aus der U- eine I-Kurve wird.

Autorin: Sonja Kupferschmid Boxler

Ist beim Coachingzentrum Olten – dem Kompetenzzentrum für Coaching, betriebliches Mentoring, Supervision und Resilienztraining – in der Geschäftsführung tätig und hat sich beim Auf- und Ausbau des Weiterbildungsangebotes vertieft mit dem Thema Verhaltensveränderungen auseinandergesetzt.
 


Literaturverzeichnis

Bittmann, F. (2021). Beyond the U-shape: Mapping the functional form between age and life satisfaction for 81 countries utilizing a cluster procedure. Wiesbaden: Springer.

Blanchflower, D.G. (2021). Is happiness U-shaped everywhere? Age and subjective well-being in 145 countries. Wiesbaden: Springer

Groß, M. (2017). Die Erwartungen ausrichten. In: Erfolgreich im Alltag. Wiesbaden: Springer

von Hirschhausen, E. & Esch, T. (2018). Die bessere Hälfte: worauf wir uns mitten im Leben freuen können. Hamburg: Rowohlt Verlag.

 

ganzen Artikel lesen