Publiziert am

Einsatzkräfte im „Doppel-VUCA“ – Resilienz und förderliche Faktoren in Blaulichtorganisationen

Lesedauer: ca. 7 Minuten

Sie sind da, wenn wir sie brauchen und funktionieren dann, wenn die Gesellschaft überfordert ist; Einsatzkräfte. Zu verstehen als Rückgrat der Bevölkerung zeigt sich angesichts der krisenreichen VUCA-Welt, wie wichtig die Resilienz von Einsatzkräften und deren Teams ist und dass bekannte Schutzfaktoren wie kognitive, körperliche und soziale Ressourcen den eher ungewöhnlichen Risikofaktoren von Blaulichtorganisationen entgegnen können.

Sonja Kupferschmid Boxler und Pascal Dimitri Ruchti

Einsatzkräfte wie Notfallsanität, Polizeiarbeit oder Feuerbekämpfung gelten als Berufsgruppe, die unzähligen psychischen und sozialen Belastungen ausgesetzt sind. Sie leben und arbeiten sozusagen in einer doppelten VUCA-Welt. Einerseits ist der Beruf in Risikosituationen immer einer Ungewissheit, Volatilität und Komplexität ausgesetzt. Andererseits sind aufgrund der aktuellen, sich rasant verändernden Weltlage, die VUCA-Attribute omnipräsent (Scherrer 2020). Einsatzkräfte aller Art leben also in einer VUCA-Welt, in der sie einen VUCA-Job ausüben und dabei ist es für die Personen, deren Teams und Organisationen unerlässlich, resilient und gestärkt aus den täglichen Herausforderungen hervorzugehen.  

Die Merkmale eines „VUCA-Jobs“

Die Beanspruchungen, welche sich Einsatzkräfte aussetzen, sind vielfältig und oftmals sehr spezifisch. Nicht nur die ständige Einsatzbereitschaft und Abrufbarkeit ist eine Herausforderung für Blaulichtkräfte, sie umfasst vielmehr eine Reihe von Merkmalen: Dynamik, mangelnde Planbarkeit und Handlungsdruck.

Dynamik

Die Arbeit in einer Extremsituation kennt nur wenige bis keine Wiederholungen und ist dadurch höchst dynamisch; jeder Einsatz ist neu und in stetiger Wandelung, wobei die eigentliche Aufgabe gerade darin besteht, diese in der Regel unbekannten Situationen mit Erfahrung – eine wichtige Ressource – möglichst effektiv und effizient zu bewältigen.

Mangelnde Planbarkeit

Mit der Dynamik eng verbunden ist demnach auch die mangelnde Planbarkeit, denn sich ständig wandelnde Situationen machen es unmöglich, konkrete Szenarien vorwegzunehmen und einzuüben. Das Üben exemplarischer, beispielhafter Situationen ist allerdings unabdingbar für Einsatzkräfte. Die Planbarkeit nimmt somit mit steigender Dynamik dramatisch ab.

Handlungsdruck

Die Arbeit für Einsatzkräfte ist charakterisiert durch hohen Entscheidungs- und Handlungsdruck, sogenannte Kontextfaktoren menschlichen Handelns. Mitarbeitende von Blaulichtorganisationen müssen stets aufs Neue unter Zeitdruck weitreichende Entscheidungen treffen und im Anschluss die entsprechenden Handlungen möglichst effektiv und effizient abwickeln.

Zusammenfassend besteht kein Zweifel, dass sich der Anforderungskatalog an Einsatzkräfte hochgradig anspruchsvoll gestaltet. Sie müssen ständig abrufbar sein, da sich Einsätze nicht planen lassen, daher sind Szenarien nur bedingt trainierbar und mit hohem Handlungs- sowie Entscheidungsdruck versehen. Eine tragende Rolle, um dennoch erfolgreich Menschen aus Notsituationen zu bergen, spielt somit die Resilienz und damit die Selbstkenntnis von Einsatzkräften (Scherrer 2020).

Ressourcen von Einsatzkräften

Eine aktuelle Studie von Gutschmidt und Steffen (2022) untersucht den Effekt von Sportaktivität, Persönlichkeitszügen und sozialer Unterstützung hinsichtlich der Resilienz von Polizeiarbeitenden. Die Resultate der Untersuchung zeigen auf, dass bei Einsatzkräften das «Psychologische Kapital», also resiliente Persönlichkeitszüge wie Optimismus und/oder Selbstwirksamkeit als Schutzfaktoren auf psychologischer Ebene eingesetzt werden. Auf der sozialen Ebene ist die soziale Unterstützung, sowohl dienstlich als auch privat – wobei die private Unterstützung als nachhaltiger gesehen wird – ein wesentlicher Schutzfaktor. Auf der biologischen Ebene gilt in dieser aktuellen Studie vor allem Sportaktivität als Schutzfaktor bzw. Copingstrategie. Dabei sei vor allem Teamsport zielführend, da dieser ebenso als soziale Unterstützung dienen kann und somit eine Doppelfunktion aufweist.

Exkurs: Coping  

Coping wird in der Fachliteratur als zweidimensionale Bewältigungsstrategie definiert. Einerseits geht es dabei darum, mit gezielten Massnahmen die Beanspruchung, also den Stressor, zu reduzieren. Andererseits wird der persönliche Umgang mit den jeweiligen Stressoren adressiert. Dabei geht es um eine (Verhaltens-)Veränderung an der Person selbst, und nicht am Stressauslöser. Allgemein gilt dabei vor allem die körperliche Aktivität als universelle Copingstrategie.  

In einem Beitrag von Annen (2021), Militärpsychologe an der ETH Zürich, werden die persönlichen Ressourcen von resilienten Einsatzkräften mit handhabbaren 4 K’s zusammengefast: Kognitive Fähigkeit (Intelligenzvermögen zur Erfassung des Problems und der Lösung), Konfidenz (Zuversicht), Kontrolle (Emotionskontrolle, Emotionsregulation) und Kommunikation (um Krisen zu bewältigen brauchen wir soziale Unterstützung und dafür müssen wir kommunizieren können). Der Wissenschaftler verweist im gleichen Paper darauf, dass es wichtig sei, resilienzförderliche Programme in die jeweilige Institution einzuweben und dass dabei vor allem Führungskräfte gefragt sind. Annen (2021) betont: «Damit Resilienz gedeihen kann, muss eine entsprechende Kultur (institutionell) geschaffen und gepflegt werden».

Ressourcen von Einsatzorganisationen
Die Auseinandersetzung mit eigenen, persönlichen Ressourcen zur Bewältigung von anspruchsvollen Situationen ist wichtig, jedoch unvollständig, wenn im gleichen Zug nicht auch über die organisationale Resilienz gesprochen wird. Denn nur so kann erreicht werden, dass eine resiliente Kultur entsteht.
In einer Erhebung von Kröling und Gerhold (2019) zu relevanten institutionellen Ressourcen zur Förderung von resilienten Einsatzorganisationen ist zu erkennen, dass vor allem realistische Übungsszenarien und das Verhalten von Führungskräften zentral ist. Neben zu sei es unerlässlich, so die Autoren, gezielte Resilienzförderungsprogramme in Form von Trainings zu implementieren. Dabei könne sowohl die individuelle Resilienz als auch eine resiliente Kultur innerhalb der Organisation umgesetzt und gelebt werden.

Resilienztrainer/-In als zukünftiger Dreh- und Angelpunkt resilienter Einsatzkräfte
Den aktuellen Bedingungen geschuldet und der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit Belastungen und Ressourcen zu danken, werden Resilienztrainings auch im Sektor des Bevölkerungsschutzes und deren Organisationen zunehmend gefragt sein. Die nachhaltige Reflexion institutioneller sowie persönlicher Ressourcen und die gezielte Stärkung dessen ist eine Aufgabe von heute, eine Kompetenz von morgen und die Basis für ein gesünderes, besseres und sicheres Übermorgen.


Literaturverhältnis

Annen, Hubert (2021): Resilienz in ausserordentlichen Lagen: ResearchGate. Verfügbar unter: https://www.researchgate.net/profile/Hubert-Annen/publication/355790252_Resilienz_in_ausserordentlichen_Lagen/links/617e7561a767a03c14d613aa/Resilienz-in-ausserordentlichen-Lagen.pdf

Gutschidt, Daniela & Steffen, Otto (2022): Resilienz in der Polizei. Der Effekt von Sportaktivität, Persönlichkeit und sozialer Unterstützung, SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis. Österreich: Verlag Österreich.

Kröling, Sophie & Gerhold, Lars (2019): Psychische Belastungen und Ressourcen von Einsatzkräften: Steigerungsmöglichkeiten der Resilienz. Berlin: Forschungsforum Öffentliche Sicherheit. Freie Universität Berlin.

Scherrer, Yvonne (2020): Organisationale Resilienz und Antifragilität in Einsatzorganisationen. In: E. Kern, G. Richter, J. Müller & F. Voss (Hrsg.), Einsatzorganisationen: Erfolgreiches Handeln in Hochrisikosituationen. Wiesbaden: Springer.



Die Autoren

Sonja Kupferschmid Boxler

Ist beim Coachingzentrum Olten in der Geschäftsführung tätig und hat sich beim Auf- und Ausbau des Weiterbildungsangebotes vertieft mit dem Thema Coaching auseinandergesetzt.
Durch ihre langjährigen praktischen Erfahrungen und umfangreiches Knowhow als Arbeits- und Organisationspsychologin, als Coach und Ausbildnerin sowie in der Produkteentwicklung verfügt sie über ausgewiesenes Expertenwissen in den Bereichen Coaching, betriebliches Mentoring, Resilienztraining und Supervision & Teamcoaching. 

Pascal Dimitri Ruchti 
Ist beim Coachingzentrum Olten als Mitarbeiter Produkteentwicklung tätig. Als BSc. Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie verfügt er über ein breites Grundlagewissen in den Bereichen Coaching, betriebliches Mentoring, Resilienz und Supervision & Teamcoaching.
 



Lehrgang CAS Resilienztraining

https://www.coachingzentrum.ch/ausbildung/vom-resilienz-coach-bis-zum-cas-resilienztraining/

ganzen Artikel lesen