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EMDR - Eye Movement Desensitization and Reprocessing

Für euch nachgefragt im Mai 2022

Begriffe rund um Coaching, betriebl. Mentoring, Supervision und Resilienztraining wirkungsvoll erklärt

In diesem Monat haben wir bei Sonja Kupferschmid Boxler, Geschäftsführung, nachgefragt, was der Begriff «EMDR» bedeutet. Im folgenden Text erläutert sie, woher der Begriff stammt, was darunter zu verstehen ist und wie dieses Wissen in Begleitungsprozesse einfliessen kann.

EMDR - (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)

Stress, Blockaden und unvorteilhafte Glaubenssätze - nennen wir sie zusammenfassend „Unwohlmacher» - sitzen oftmals so tief, dass wir unser Unwohl bzw. dessen Entstehung nicht in Worte fassen können. So wird die Auseinandersetzung mit Unwohlmachern erschwert. EMDR ist eine passende Methode, um eben dem entgegenwirken zu können und erlaubt die nötige Umstrukturierung negativer Einflüssen.

Definition

EMDR steht für "Eye Movement Desensitization an Reprocessing", frei übersetzt: Desensibilisierung und Wiederaufbereitung von Informationen durch gezielte Augenbewegung. EMDR ist eine Methode aus der Psychotherapie zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen und Traumafolgestörungen. Sie wurde Anfang der 90er Jahre von Dr. Francine Shapiro, einer kalifornischen Psychologin entwickelt. Mittlerweile ist die EMDR-Methode weitverbreitet sowie wissenschaftlich anerkannt und findet auch erfolgreiche Anwendung im Coaching (Hofmann & Hase, 2015).

Grundlegendes zu EMDR

Bei emotional negativen Ereignissen, wie beispielsweise eine schmerzliche Absage nach einem Bewerbungsgespräch, ist unser Hirn normalerweise im Stande, mithilfe des Informationsverarbeitungssystems solche Lebenserfahrungen adaptiv zu verarbeiten. Bei einer Störung dieser Verarbeitung, etwa bedingt durch negative Glaubenssätze wie "ich bin einfach nicht kompetent genug, einen neuen Job zu bekommen", bleibt die demütigende Erfahrung in einer fragmentierten, zustandsspezifischen Form im Gehirn gespeichert und wird nicht verarbeitet. Das heisst, dass wir jedes Mal, wenn wir zu einem Jobinterview gehen, daran erinnert werden, wie "unfähig" wir uns in dieser Situation gefühlt haben. Das Beispiel des negativen Glaubenssatzes verschmilzt mit dem Setting und wird quasi zur falschen Tatsache (Hofmann & Hase, 2015).

Beim Einsatz der EMDR-Methode wird der Zugang zu genau derjenigen Erinnerung gesucht, die das negative Gefühl auslöst, um dann das Informationsverarbeitungssystem zu aktivieren, sodass das einschneidende Ereignis nachverarbeitet werden kann. Dies gelingt allerdings nur, wenn das Setting (in unserem Beispiel das Bewerbungsverfahren) mit neuen, positiven Gefühlen verknüpft wird. Und dafür kommt bei EMDR die bilaterale Stimulation unserer Hirnhälften zum Zuge. Der EMDR-Prozess initiiert somit die Aktivierung der Verarbeitung von Ereignissen, sowohl in den Hirnarealen, in denen wir unser Handeln planen, als auch in denjenigen, wo unsere Emotionen entstehen (Schubbe, 2009).

Zur Wirkung und Wirksamkeit von EMDR

Je nach wissenschaftlicher Betrachtungs- und Schulungsweise gibt es unterschiedliche Annahmen zur Wirkung von EMDR. Sie alle teilen sich jedoch die Erkenntnis, dass diese Methode unsere Erlebnisverarbeitung wirkungsvoll anregen kann. Eine der meistverfolgten Theorien basiert auf der Annahme, dass ein negatives Ereignis unsere begrenzte Kapazität im Arbeitsgedächtnis durch Übererregung überlastet und somit omnipresent ist. Diese begrenzte Kapazität kann via EMDR-Methode zum Vorteil werden, indem wir - durch gedankliche Umstrukturierung - die negativen Emotionen mit positiven überdecken. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass EMDR, durch die Konzentration auf einen anderen Reiz, vor allem in eine kognitive und emotionale Entspannung mündet. Dieser Zustand fördert unsere Hirnagilität (Neutoplastizität), was wiederrum dazu führt, dass mit Gedächtnisinhalten eng "verklebte" Emotionen entbunden werden. So ist die Erinnerung an die unangenehme Erfahrung zwar immer noch da, jedoch ist sie nicht mehr mit hemmenden Gefühlen gekoppelt (Roth, 20222).

Aktuelle Studien können nachweisen, dass EMDR im Vergleich zu anderen verhaltenstherapeutischen Interventionen nicht nur effektiver, sondern auch effektschneller wirkt. Dazu kommt der Vorteil, dass EMDR mit einer Schritt-für-Schritt-Anleitung eher einfach umzusetzen ist und durch Wiederholungssitzungen die Wirkung ansteigen lässt (Roth, 2022).

Vorgehensweise - Die acht EMDR-Phasen

Das Grundgerüst der Durchführung von EMDR gliedert sich in acht aufeinanderfolgende Phasen bzw. Schritte.

Erhebung der herausfordernden Situation

Hierbei wird die einschneidende Erfahrung, beispielsweise das missglückte Bewerbungsgespräch, erfragt und festgestellt. Tiefergehende Details und Ausführungen der besagten Situation sind dabei nicht nötig. Es geht lediglich darum, die "verklebte" Stelle ausfindig zu machen und die emotionale Gefühlslage hervorzurufen.

Etablierung einer positiven Erfahrung als Kontrast

In dieser Phase wird das Gegenteil zum vorderen Schritt gemacht. Dabei wird eine positive Erfahrung, die nichts mit der Negativen zu tun hat, zum Beispiel einen gelungenen Vortrag, erfragt. Auch hier sind Einzelheiten und tiefergreifende Ausführungen nicht nötig.

Einstufung der Belastung und Formulierung eines positiven Gedankens

Das Ereignis, welches eine negative Gefühlslage hervorruft, wird anschliessend auf einer Skala von 1 bis 10 gewertet. Also zum Beispiel: Ich habe mein letztes Bewerbungsgespräch völlig vermasselt, auf der Skala vermesse ich dies mit einer 7. Daraus wird ein positiver Gedanke geschlossen: Ich kann etwas dagegen tun, dass ich das nächste nicht auch wieder vermassle. Dieser optimistische Gedanke wird ebenfalls skaliert, jedoch auf einer Skala von 1 bis 7.

Gedankliches zurückversetzen in die unangenehme Situation

Hier wird die Situation und die dadurch hervorgerufenen Emotionen gedanklich noch einmal durchlebt. Wo stand ich? Wie habe ich mich gefühlt und was hat das in mir bewirkt? So gelangt das tiefliegende Gefühl in das Arbeitsgedächtnis, wo es wiederrum mit neuen Inputs vernetzt werden soll.

Augenbewegung mit ruhig gehaltenem Haupt

Das Haupt der befragten Person soll nun starr und ruhig, geradeaus blickend, gehalten werden. Die Person folgt einem von links nach rechts fahrendem Finger durch alleinige Augenbewegung. Dies ist der Schritt, indem ein neuer (visueller) Reiz und die Konzentration darauf die kognitive und emotionale Entspannung einleitet. So wird der positive Gedanke zunehmend präsent und verankert. Dabei spielt die Art des Reizes keine Rolle; Es gibt viele Alternativen zur Augenbewegung. Auch taktile (z.B. Schmetterlingsumarmung oder Tippen auf die Handrücken links und rechts) sowie auditive Reize werden dafür verwendet.

Eintritt einer Entspannung/Entlastung

Durch die abwechselnde Stimulation der rechten und der linken Hirnhälfte, sowie durch die Verankerung des neuen positiven Gedankens, tritt eine tiefe Entspannung ein. Diese fördert, wie bereits erwähnt, die Hirnagilität und die Möglichkeit, zur gedanklichen Umstrukturierung.

Abschluss-Test und Nachbefragung

Durch erneutes Hervorrufen der negativ geprägten Erfahrung, und die erneute Bewertung der dabei ausgelösten Körperbefindlichkeit, wird kontrolliert, ob die gewünschte Wirkung, also die Reduktion des Skalenwertes bezüglich der negativen Situation und Steigerung des Wertes des positiven Gedankens, eingetroffen ist.

Widerholungssitzung  

Bei nicht zufriedenstellenden Werten wird die EMDR-Methode direkt wiederholt. So oft, bis die beabsichtigte Wertveränderung eingetroffen ist (Roth, 2022 & Hofmann & Hase, 2015).

Praxistipp für Begleitungsprozesse

Was bringt mir dieses Wissen in der Praxis?

Neurologisch betrachtet ist der Übergang zwischen Psychotherapie und Begleitungsarbeit sehr fliessend. Es geht im Kern bei beiden Ansätzen darum, Unbehagen zu bekämpfen und belastende Situationen umzuwerten. Daher können wir einige Erkenntnisse in unsere Dienstleistungen einfliessen lassen:

Als Begleitungspersonen können wir die Grundsätze und Anwendung der EMDR-Methode als Vertiefungs- und Weiterbildungsmöglichkeit nutzen. So können wir im Begleitungsprozess rund um Stressmanagement eine elementare Stütze darstellen als auch das Selbstbild unserer Kundinnen und Kunden stärken und so für Zielklarheit sorgen. Gerade in der Arbeit mit Führungskräften erweist sich dies als sehr hilfreich.

Ähnlich den Achtsamkeits- oder Atemübungen Hilft EMDR dabei, physiologische sowie geistige Beruhigung herbeizuführen. Die Wiederaufbereitung negativer Erfahrungen fördert dabei die Reflexionsfähigkeit und stärkt eine positive Grundhaltung und trainiert Resilienz durch Selbstermächtigung. Die therapeutische Anwendung dieser Methode ist ausschliesslich diplomierten Psychologinnen und Psychologen erlaubt, für Coaches gibt es mittlerweile spezifische Zertifikate, um EMDR in der täglichen Praxis Schritt für Schritt anzuwenden.


Quellenangaben

Hofmann, A. & Hase, M. (2015). EMDR. In Möller et al. (Hrsg.), Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie. Berlin: Springer-Verlag. 

Roth, G. (2022, 30. März). Neurobiologie fürs Coaching - Integratives Neurocoaching wissenschaftlich fundiert und praxisnah erklärt. Coachingforum 2022, (CZO). Vorlesungsfolien.

Schubbe, O. (2009). Eye-Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR). In A. Maerker (Hrsg.), Posttraumatische Belastungsstörungen. S. 286-297. Berlin: Springer-Verlag.

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