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Flexicurity
Know-how & Do-how for Coaches
Lesedauer: ca. 6 Minuten
Aktuelle Begriffe aus der Coachingwelt einfach und praxisnah erklärt.
Lerne in diesem Monat den Begriff «Flexicurity» kennen – erfahre durch Karin Sidler, Geschäftsführung, und New Workerin Zehra Sirin, was darunter zu verstehen ist und wie du dieses Wissen in deinen Praxisalltag als Begleitungsperson wirkungsvoll integrieren kannst.
Flexicurity
Der moderne Arbeitsmarkt wandelt sich gleichermassen wie die darin gelebten Werte und Normen. Flexicurity will zwei Hauptaspekte dazu verbinden: Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sowie die soziale Sicherheit für Arbeitnehmende. Zwei auf den ersten Blick sich ausschliessende Faktoren. Eine eher ältere Begriffsschöpfung, welche unter gewissen Gesichtspunkten neue Aufmerksamkeit verdient. So sieht das auch die New-Workerin Zehra Sirin: «Im Zeitalter von New Work, das durch schnelle technologische Fortschritte, Digitalisierung und einen Wandel in den Wertvorstellungen bezüglich Arbeitsmodellen und Lebensqualität oder auch Chancengleichheit geprägt ist, ist das Konzept der Flexicurity aktueller denn je.»
Definition
Flexicurity ist ein Schachtelwort zusammengesetzt aus den zwei englischen Begriffen Flexibility und Security – Flexibilität und Sicherheit. Dieses Konzept bezieht sich auf eine Kombination aus flexiblen Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmende und einem starken sozialen Sicherheitsnetz. Die Idee ist, dass Arbeitnehmende in der Lage sein sollten, sich an die sich verändernden Anforderungen des Arbeitsmarktes anzupassen, ohne dabei ihre soziale Absicherung zu verlieren. Der Ausdruck wurde bereits in den 1970er Jahren von einem dänischen Politwissenschaftler eingeführt. Die Europäische Union hat dieses Konzept im Laufe einer neuen Arbeitsmarktstrategie im Jahr 2007 in die Praxis umgesetzt. Das Konzept Flexicurity ist eine politische Strategie, die darauf abzielt, Flexibilität und Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt in Einklang zu bringen (Marti et al. 2007).
Vier Säulen der Flexicurity
Flexicurity ist ein umfangreiches Konzept, welches den aktuellen Bedingungen der Arbeitswelt entspricht. Dazu wurden vier wichtige Säulen definiert:
- Flexible Arbeitsverträge: Flexicurity beginnt mit der Schaffung von flexiblen Arbeitsverträgen, die es Unternehmen ermöglichen, auf veränderte Bedürfnisse schnell zu reagieren. Dies kann befristete Verträge, Teilzeitarbeit, Zeitarbeit oder andere flexible Anstellungsformen umfassen.
- Arbeitnehmerrechte und -schutz: Gleichzeitig sind klare Arbeitnehmerrechte und -Schutzmassnahmen von entscheidender Bedeutung. Arbeitnehmende sollten faire Löhne, angemessenen Kündigungsschutz und Zugang zu Fortbildungsmassnahmen erhalten, um ihre Fähigkeiten und Qualifikationen zu verbessern.
- Aktive Arbeitsmarktpolitik: Flexicurity setzt auch auf eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die die Employability der Arbeitnehmenden fördert. Dazu gehören Schulungs- und Umschulungsprogramme, die den Arbeitnehmenden helfen, sich auf neue berufliche Möglichkeiten vorzubereiten.
- Soziale Sicherheit: Die vierte Säule von Flexicurity ist ein starkes soziales Sicherheitsnetz. Dieses Netz sollte diejenigen abfangen, die vorübergehend arbeitslos sind oder aus anderen Gründen nicht arbeiten können (Wegerich 2015).
Die Vorteile von Flexicurity
Flexicurity hat viele Vorteile, sowohl für Arbeitnehmer als auch für Unternehmen und die Gesellschaft als Ganzes:
- Anpassungsfähigkeit: Flexicurity ermöglicht es Unternehmen, schnell auf Marktveränderungen zu reagieren, was ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöht.
- Beschäftigungssicherheit: Arbeitnehmende haben die Gewissheit, dass sie im Falle von Arbeitsplatzverlust oder Umstrukturierungen finanziell abgesichert sind.
- Förderung der Beschäftigungsfähigkeit: Die aktive Arbeitsmarktpolitik und die Investitionen in Schulung und Weiterbildung verbessern die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer und erleichtern ihre berufliche Mobilität.
- Soziale Integration: Ein starkes soziales Sicherheitsnetz fördert die soziale Integration und verhindert Armut und soziale Ausgrenzung (Wegerich 2015).
Zehra Sirin erkennt die Vorteile, sieht jedoch auch Herausforderungen im Konzept Flexicurity: «Nebst diesen Chancen, stellt sich die Frage der Finanzierbarkeit innerhalb des heutigen Systems. Es ist unklar, ob diese Systeme eine umfassende Abdeckung in der Arbeitswelt gewährleisten würde, um sicherzustellen, dass nicht nur einige wenige gut geschützt sind, während andere, wie beispielsweise gering qualifizierte Arbeitnehmende oder Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen unter schlechteren Beschäftigungsbedingungen leiden. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit oder Sparmassnahmen kann es herausordernd sein, die notwendigen Ressourcen bereitzustellen, ohne die Steuern zu erhöhen oder in anderen Bereichen Einschnitte vorzunehmen.»
Alte Hüter, neue Häupter
Obschon Flexicurity an sich keine Neuheit darstellt und seine politische Implementierung bereits erfolgreich vonstattenging, bedarf der Begriff einer aktuellen Beleuchtung. Was politisch definiert wird, muss weiterführend in der Gesellschaft und deren Arbeitswelt umgesetzt werden. Nur weil Gesetzgebungen geformt und erlassen wurden, bedeutet dies nicht, dass sich auch Einstellungen und Werthaltungen auf Anhieb anpassen.
Flexicurity und Mindset
Um zu gewährleisten, dass insbesondere Führungspersonen sich den sich stetig verändernden Bedingungen anpassen, ohne dabei die Belegschaft aussenvor zu lassen, ist es wichtig, das richtige Mindset zu haben. Moderne Führungsaufgaben gehen über das Fachliche weit hinaus. Um heutzutage nach wie vor erfolgreich unterwegs sein zu können, sollten Soft Skills etabliert und gefestigt werden. Es müssen dazu Reflexionsprozesse angeregt werden und im alltäglichen Arbeiten Raum finden. «FormularbeginnUm diesen Herausforderungen zu begegnen, ist eine sorgfältige Planung und ständige Anpassung des Flexicurity-Modells erforderlich, zusammen mit einem starken politischen Willen, Gelder und der Beteiligung aller Stakeholder. Ich hoffe, das gelingt unserer Gesellschaft.» so Zehra Sirin.
Praxistipp für Begleitungsprozesse
Was bringt mir dieses Wissen in der Praxis?
Die Arbeitswelt 4.0 ist in stetigem Wandel, so auch die Gesellschaft und deren Politik. Um in der Moderne menschzentriert zu arbeiten, werden gesetzliche Installationen erlassen und umgesetzt. Doch reicht es nicht aus, nur das Gesetzliche zu ändern. Was allem voran Entwicklung braucht, sind die Menschen, die entsprechende Massnahmen im Kleinsten umsetzen. Als Begleitungspersonen sind wir genau dafür da und unterstützen Führungskräfte als auch gesamte Organisationen darin, den Spagat zu schaffen zwischen Flexibilität und Agilität und sozialer Sicherheit.
Die Begleitungspraxis, beispielsweise Teamcoaching oder betriebliches Mentoring, ist ein modernes und wichtiges Tool, um Reflexionsprozesse gezielt einzuleiten und entsprechende Softskills zu entdecken, trainieren und festigen. Flexicurity kann uns dabei helfen, das Spannungsfeld zwischen zwei zehrenden Polen aufzuweichen damit mehr Einklang und letzten Endes Individualität und Zufriedenheit entsteht.
Quellenangaben
Marti, M., Sommer, H., Oleschak, R. & Rissi, C. (2007) Felxicurity: Bedeutung für die Schweiz. Forschungsbericht Nr. 14/07. Bundesamt für Sozialversicherungen. Bern: BBL, Vertrieb und Publikationen.
Wegerich, C. (2015) Strategische Personalentwicklung in der Praxis: Instrumente, Erfolgsmodelle, Checklisten, Praxisbeispiele. Springer.