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Self-Nudging

Für euch nachgefragt im August 2022

Begriffe rund um Coaching, betriebl. Mentoring, Supervision und Resilienztraining wirkungsvoll erklärt

In diesem Monat haben wir bei Karin Sidler, Geschäftsführung, nachgefragt, was der Begriff «Self-Nudging» bedeutet. Im folgenden Text erläutert sie, woher der Begriff stammt, was darunter zu verstehen ist und wie dieses Wissen in Begleitungsprozesse einfliessen kann.

Self-Nudging

Gesündere Ernährung, mehr Sport treiben oder mit dem Rauchen aufhören - alle Jahre wieder nehmen wir uns solche und ähnliche gute Vorsätze vor. Zum Jahresstart sind wir meist hochmotiviert unser Leben zu verändern und umzugestalten. Trotzdem landen die guten Vorsätze meistens auf der langen Bank. Vorsätze und Ziele umzusetzen, die mit einer Verhaltensänderung einher gehen, können zur Herausforderung werden – es geht darum Neues so zu gestalten, dass wir innerlich klar und stimmig Ja dazu sagen können und das Neue gezielt zu trainieren. Mit "Self-Nudging" können wir uns alltägliche "Stupser" geben, um gewünschte Veränderung zu festigen (Torma, Aschemann-Witzel & Thogersen, 2017).

Definition

Der Begriff Self-Nudging kommt aus der Verhaltensforschung und ist direkt verwandt mit "Nudging", einer Methode, die uns im Alltag immer wieder begegnet, sei es im Supermarkt, wo die Süssigkeiten auf Augenhöhe platziert sind oder beim Lesen von Warnhinweisen auf Tabakprodukten. Das Wort "Nudging" ist englisch und steht frei übersetzt für Stupsen. Nudging bedeutet also, dass die Architektur der Umgebung Entscheidungen positiv beeinflussen kann. Mit Self-Nudging übernehmen wir eben diesen Prozess selbst, indem wir unsere unmittelbare Umgebung so verändern, dass diese das neue, erwünschte Verhalten "hervorkitzelt" (Reijula & Hertwig, 2020).

Fünf Self-Nudging-Werkzeuge

Um Self-Nudging besser zu veranschaulichen, wird in der Fachliteratur das Prinzip Self-Nudging in fünf Kategorien eingeteilt, welche gleichzeitig alltägliche Werkzeuge zur nachhaltigeren Selbstentwicklung darstellen:

  • 1. Hinweise und Erinnerungen: Das gezielte Platzieren von Hinweisbotschaften und Verhaltenserinnerungen kann nachweislich die Zielerreichung unterstützen. Nehmen wir uns beispielsweise vor, mehr Früchte zu essen, fördert ein Zettel am Kühlschrank mit einem Apfel darauf oder mit einer schriftlichen Botschaft die Wahrscheinlichkeit zur Frucht, anstatt zum Kuchen zu greifen. Die Hinweise und Erinnerungen, strategisch platziert, geben uns tägliche Stupser in Richtung des Wunschverhaltens. Wichtig dabei ist, dass uns diese Hinweise ansprechen und die Bilder mit einem positiven Gefühl verbunden sind.
     
  • 2. Framing: Indem der Grund für eine Veränderung aus alternativen Perspektiven betrachtet wird, kann auch das Verhalten selbst verändert werden. Wenn wir zum Beispiel ein Produkt sehen, welches 90% zuckerfrei ist, können wir ein anderes Framing verwenden, mit der Perspektive, dass das Produkt immer noch 10% Zucker enthält, herangehen und schliesslich ein Produkt wählen mit keinem oder wenig Zucker, das uns anspricht und auf das wir Lust haben. Oder wir verändern den Rahmen der Entscheidung «Joggen oder nicht Joggen» hin zu «mit Frische unterwegs». Wir packen somit Gegebenes in einen neuen Denkansatz und transportieren sinnbildlich das Gemälde in einen neuen, motivierenden Rahmen, um uns zum erwünschten Verhalten hinzustupsen.
     
  • 3. Zugänglichkeit verändern: Die Verfügbarkeit von Optionen beeinflusst unser Verhalten. Ein alltägliches Beispiel ist, wenn bei der Kasse im Supermarkt Süsswaren platziert werden. Durch das Anstehen in der Schlange fällt der Blick auf die süssen Verlockungen und der Griff danach ist somit wahrscheinlicher. So können wir auch umgekehrt, durch die Verringerung oder Veränderung der Zugänglichkeit Verhaltensalternativen provozieren, um uns in die gewünschte Verhaltensrichtung zu stupsen. Beispielsweise indem wir zu Hause gesunde Esswaren und Getränke auffällig und attraktiv platzieren, kann eine Verhaltensänderung unterstützt werden.
     
  • 4. Soziale Vergleiche und Vorbildfunktion: Der Vergleich mit anderen Personen ist in der Regel nicht zielführend. Da wir soziale Wesen sind, erkennen wir aber erwünschtes Verhalten meistens anhand des Verhaltens anderer. Im Kontext der Verhaltensänderung können wir Verhalten anderer als Vorbildfunktion positiv nutzen als Motivation für uns, um unser erwünschtes, neues Verhalten zu fördern. Ein Beispiel ist, wenn wir miterleben, wie jemand auf einen verbalen Angriff empathisch und klar reagiert. Durch den Vergleich mit Anderen reflektieren wir unser Verhalten und stupsen uns in die gewünschte Richtung.
     
  • 5. Voreinstellungen: Voreinstellungen zielen auf den Auswahlprozess selbst. Wenn für uns A oder B möglich ist, können wir uns grundsätzlich darauf festlegen, dass wir die uns positiver erscheinende Option wählen. Diese Wenn-Dann-Regel installieren wir und sie hilft uns, bei Entscheidungsschwierigkeiten das gewünschte Verhalten zu zeigen (Reijula & Hertwig, 2020). Ein Beispiel ist das Feierabendgetränk. Wenn das für mich ein Bier (A) oder ein prickelnder Apfelsaft (B) sein kann, dann kann ich voreinstellen, dass es Apfelsaft ist und diesen auch bereits vorbereitet im Kühlschrank kühlen.

Diese fünf Werkzeuge können uns helfen, unsere gewünschten neuen Verhaltensweisen täglich zu festigen, damit sie zu Routine werden. Trotz dem Einsatz von Self-Nudging stehen wir angesichts von Verhaltensveränderungen immer wieder vor dem Stolperstein unseres gewohnten Verhaltens. Verhaltensänderung braucht Zeit und Training und wenn sie nicht gelingt, ist es wichtig auf der Ebene der Haltung zu prüfen, ob das neue Verhalten tatsächlich damit im Einklang ist und das neue Verhalten allenfalls anzupassen.


Praxistipp für Begleitungsprozesse

Was bringt mir dieses Wissen in der Praxis?

Als Begleitungspersonen unterstützen wir unsere Kundinnen und Kunden ihre eigens gesteckten Ziele zu erreichen. Wir setzen dabei verschiedenste Tools und Methoden ein und arbeiten sowohl auf der Ebene von Haltung als auch auf der Ebene von Verhalten. Damit Verhaltensveränderungen erfolgreich sind, ist es wichtig, dass wir unsere Kundinnen und Kunden zunächst beim Bilden selbstkongruenter, intrinsisch motivierter Ziele unterstützen. Auf der Ebene der Umsetzung, der Verhaltensänderung ist zudem Geduld gefragt – auch Freude am Experimentieren und sich verzeihen, wenn etwas nicht gleich so gelingt, wie angedacht, sind wertvolle Ressourcen. Das Konzept des Self-Nudging kann uns als Begleitungspersonen eine wertvolle Unterstützung sein, um Kundinnen und Kunden aufzuzeigen, wie sie die Verhaltensänderung nachhaltig trainieren können.

Die fünf Kategorien des Self-Nudgings sind leicht verständlich und gut und individuell in jeden Alltag integrierbar. Es sind Impulse, welche im privatem wie auch im beruflichen Kontext einfach umzusetzen sind. So kann beispielsweise eine Symbol-Waage - wenn das für meine Kundin ein wichtiges Bild ist - neben dem Bett daran erinnern, die neue Life-Balance zu leben. Zudem kann Framing in der Begleitungsarbeit eingesetzt werden, um Einstellungen zu reflektieren und Blockaden zu lösen. Framing kann auch Perspektivenwechsel unterstützen, welcher wiederum die nachhaltige Umsetzung einer erwünschten Verhaltensveränderung fördern kann. Self-Nudging ist ein vielseitig einsetzbares Werkzeug, um das, was wir gemeinhin abwertend als inneren Schweinehund bezeichnen, anzunehmen und einen stimmigen, neuen Umgang damit zu finden. Dadurch werden neue Potenziale entfaltet und persönliche Entwicklungsprozesse gefördert.


Quellenangaben

Reijula, S. & Hertwig, R. (2020). Self-Nudging and the citizen choice architect. Behavioral Public Policy, 6, 119-149.

Torma, G, Aschemann-Witzel, J. & Thogersen, J. (2017). I nudge myself: Exploring self-nudging strategies to sustainable consuption behaviour. International Journal of Consumer Studies, 42, 141-154.

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