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Shinrin-Yoku

Know & Do How for Coaches im Dezember 2022

Topics für Coaches, betriebl. MentorInnen, SupervisorInnen und Resilienztrainer wirkungsvoll erklärt

In diesem Monat haben wir bei Karin Sidler, Geschäftsführung, nachgefragt, was «Shinrin-Yoku» bedeutet. Im folgenden Text erläutert sie, woher der Begriff stammt, was darunter zu verstehen ist und wie dieses Wissen in Begleitungsprozesse einfliessen kann.

Shinrin-Yoku

Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist in ihrer Blütezeit. Spätestens seit der Pandemie merken wir, dass dies nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile mit sich bringt. In Kombination mit urbanem Leben führt der digitale (Arbeits-) Alltag zur Zunahme von Stresserleben und Einsamkeitsgefühlen als auch zur Abnahme von Achtsamkeit und Selbstwahrnehmung. Ein "Sprung ins frische Grün" kann uns unserem Selbst wieder näherbringen, die Wiederstandfähigkeit fördern und unser Wohlbefinden als auch die Leistungsfähigkeit steigern. "Shinrin-Yoku" erklärt genau diesen Prozess und lehrt die heilende Kraft und förderliche Wirkung von Wäldern (Schuh & Immich, 2019).

Definition

Shinrin-Yoku ist ein japanischer Begriff und bedeutet so viel wie baden im Wald. Waldbaden, Natur- oder Waldtherapie sowie Forest bathing sind die gängigsten Synonyme. Der Begriff tauchte 1982 erstmals auf und ist seither Gegenstand vieler Gesundheitsforschungen. Shinrin-Yoku erzählt vom Abtauchen in Waldlandschaften, indem wir dabei unsere vier von fünf Sinne auf die Geschehnisse in der Wildnis fokussieren. Wir sehen, hören, riechen und ertasten die natürliche Umgebung und geben uns ihr völlig hin. Ursprünglich war Shinrin-Yoku dafür gedacht, die Menschen - als Konterakt zur Urbanisierung - in die Natur zurückzubringen, damit diese besser verstanden und dadurch geschützt wird. Herausgefunden hat man dabei, dass der Wald vor allem uns schützt und umfassend stärkt. In Japan ist Shinrin-Yoku mittlerweile eine anerkannte wissenschaftlich fundierte Methode für Entspannung und Stressmanagement. (Wen et al., 2019).

Rund um die Uhr - die circadiane Rhythmik 

Unsere innere Uhr ist verbunden mit einer Vielzahl an körperlichen Phänomenen, welche fast auf die Minute genau ablaufen. Diese Phänomene werden durch Botenstoffe gesteuert, welche vom Hirn ausgesandt werden und wie die Natur rhythmischen Zyklen folgen. Folgende Phänomene konnten in zahlreichen Studien beobachtet und auf genau Uhrzeiten standardisiert werden: 
Diese Zeitangaben schwanken und unterscheiden sich von Person zu Person. Jedoch konnte in unzähligen Experimenten festgestellt werden, dass Menschen, welche in totaler Isolation sind (in einem Bunker z.B.) etwa dieselbe innere Rhythmik nachweisen, wie die Kontrollgruppe, die nicht in Isolation war (Baus 2015).

Der Wald - Unser Heilsbringer

Ein bewusster und achtsamer Aufenthalt im Wald hat nachweislich einen positiven klinischen Einfluss auf eine Vielzahl an Erkrankungen. Bei Beschwerden wie Kreislauf- und Blutdruckerkrankungen, chronischer Stress und Depressionen zeigt Waldbaden eine stark positive Wirkung. Die Produktion von Anti-Krebs-Proteinen wird angeregt und sogenannte Killerzellen (eine Form weisser Blutkörperchen) werden aktiviert (Li et al., 2008). Das gedämpfte Waldlicht und der Ausstoss gewisser Stoffe von Bäumen führen zum Abbau von Stresshormonen und sorgen für eine hinreichende Reproduktion von Melatonin, einem Schlafhormon, welches für einen gesunden Schlafrhythmus zuständig ist. Die positiven Effekte sind wissenschaftlich bestätigt. Der Wald flankiert und unterstützt die Heilung massgeblich und hat deshalb eine heilungsförderliche Wirkung (Schuh & Immich, 2019).

Der Wald - Unser Verstärker

Die Anwesenheit im Grünen hat nicht nur eine heilungsförderliche Wirkung auf bestimmte Krankheiten, sondern - und im Sinne der Positiven Psychologie noch wichtiger - einen allgemein gesundheitsförderlichen Einfluss. Im Naturraum werden nämlich die Akzeptanz, der Selbstwert, die Selbstwirksamkeit und die Lösungsorientierung, die soziale Verbundenheit sowie eine optimistische Grundhaltung gefördert. Dies sind fünf zentrale Faktoren für unsere Resilienz. Wir werden also widerstandsfähiger, wenn wir ins Grüne eintauchen und uns achtsam den Sinneseindrücken des Waldes hingeben. Durch die gewonnene Gedankenklarheit fällt es uns leichter, Ziele zu definieren und wir erleben mehr Selbstwirksamkeit, um diese auch zu erreichen (Hofmann & Hofmann, 2019).  

How to Shinrin-Yoku

Die Methode Shinrin-Yoku ist simpel so wie einfach, dennoch nicht banal. Es gibt einige Dinge, die bei der Umsetzung beachtet werden können. Eines vorneweg: Geschulte Fachpersonen in Sachen Waldbaden sind die richtige Anlaufstelle, um Shinrin-Yoku gänzlich zu erleben. Untenstehend sind einfache Hinweise aufgelistet für unseren nächsten Waldbesuch.

Promenieren und Schlendern: Verfolgen Sie kein wirkliches "Reiseziel", schenken Sie der Streckendistanz und der Laufdauer keine Aufmerksamkeit. Spazieren Sie gemütlich.

Inne-Halten: Betreiben Sie keinen Laufsport, Verausgabung ist beim Waldbaden nicht die Absicht. Machen Sie vielmehr regelmässig Rast und geben Sie Ihrer Seele die Zeit, um im Moment zu sein.

Wahrnehmen: Der wahrscheinlich zentralste Punkt, um Shinrin-Yoku näher zu kommen, ist das Wahrnehmen der Sinneseindrücke auf allen Sinneskanälen. Erleben Sie die Lichtstrukturen und Schattenspiele der Verästelungen, die Farben. Lauschen Sie den knisternden Zweigen unter Ihren Füssen, erfassen Sie Blätter und Stämme und atmen Sie die grüngewaschene frische Luft des Waldes tief ein. Bleiben Sie dabei völlig wertefrei, schenken Sie dem Moment die volle Aufmerksamkeit und geniessen Sie vorbehaltlos.

Sanfte Bewegungen: Wenn Sie ein für Sie lauschiges Plätzchen entdeckt haben, nehmen Sie sich Zeit und bewegen Sie sich ganz intuitiv. Kreisen Sie beispielsweise mit den Armen oder machen Sie Ihnen bekannte, sanfte Yoga-Übungen. Bewegungen fördern die Sauerstoffaufnahme Ihres Körpers.

Weitblick: Geniessen Sie die Liebe zum Detail, lassen Sie aber auch ab und an Ihren Blick in die Ferne schweifen. Sie entlasten so die monitormüden Augen und gönnen ihrem Geist Weitblick und Öffnung. Spielen Sie mit dem Fokussieren Ihrer Augen.

Atmung, Meditation und Stille: Machen Sie Atemübungen und verweilen Sie ruhig und regungslos. Geben Sie sich der Umgebung hin und geniessen Sie ein tiefes Vollbad im grünwuchernden Wald (angelehnt an Dörig, 2018).


Praxistipp für Begleitungsprozesse

Was bringt mir dieses Wissen in der Praxis?

Als Begleitungspersonen sind wir nicht selten eine Anlaufstelle bei akuten Herausforderungen im beruflichen und privaten Alltag unserer Kundinnen und Kunden. Mit Shinrin-Yoku und den dadurch gewonnenen Einsichten in die Wirkung des Waldes bekommen wir ein einfaches und wirkungsvolles Werkzeug an die Hand. Indem wir das "Kopf durchlüften" in ein wissenschaftliches Gewand stecken, können wir belegen, wie ein zunächst vielleicht simpel wirkender Ratschlag wie Waldbaden fruchtet. Denn es sind die kleinen Dinge im Leben, die nachhaltig Veränderung bringen.

Als Begleitungspersonen können wir Shinrin-Yoku auch ganz direkt nutzen und Begleitungsprozesse in der Natur durchführen – Outdoor-Coaching. Eine Begleitung im Wald oder im Park kann wirkungsvoll sein, um direkt Ressourcen zu aktivieren und das Finden neuer Lösungen zu unterstützen. Indem wir das Arbeiten im Grün zieldienlich anleiten, fördern wir eine achtsame Grundhaltung und stärken die Selbstwirksamkeit unserer Kundinnen und Kunden.

Unzählige Tools und Methoden der Begleitungsarbeit sind geeignet, um mit ihnen direkt in einer natürlichen Umgebung zu arbeiten, so zum Beispiel das Zürcher Ressourcen Modell (ZRM) (Gans et al. 2020) oder die Arbeit mit Bodenankern und Symbolen. Die Natur ist voll mit Symbolen und Ressourcen, die wir dabei nutzen können – so schöpfen wir aus dem Vollen um unsere Kundinnen und Kunden individuell und nachhaltig auf ihrem Weg zu unterstützen.
 


Quellenangaben

Schuh, A. & Immich, G. (2019). Die Atmosphäre des Waldes: Das Waldklima und seine gesundheitlichen Auswirkungen. In: Waldtherapie - das Potential des Waldes für Ihre Gesundheit. Berlin: Springer.
Wen, Y. et al. (2019). Medical empirical research on forest bathing (Shinrin-yoku): s Systemic Review. Environmental Health and Preventive Medicine, (2019) 24:70.
Li, Q. et al. (2008). A forest bathing trip increases human natural killer activity and expressions of anti-cancer proteins in female subjects. J Biol Regul Homeost Agents: 1, (S. 45-55).
Hofmann, B. & Hofmann, O. (2019). "Coaching to go" - die Kraft der grünen Resilienz nutzen. In J. Heller (Hrsg.), Resillienz für die VUCA-Welt (S. 199-213). Berlin: Springer.

Dörig, R. (2018). Waldbaden - Kleine Anleitung. Verfügbar unter: mindfulmind.ch/anleitung-waldbaden/.


Gans, C., Dienemann, K., Hume, A. & Lorino, A. (2020). Arbeitsraum Natur: Handbuch für Coaches, Therapeuten, Trainer und Organisationen. Wiesbaden: Springer.


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