Publiziert am
Status Quo Bias
Know-How & Do-How für Coaches im Juni 2024
Lesedauer: ca. 6 Minuten
Aktuelle Begriffe aus der Coachingwelt einfach und praxisnah erklärt.
Lerne in diesem Monat den Begriff «Status Quo Bias» kennen - erfahre durch Sonja Kupferschmid, Geschäftsführung, was darunter zu verstehen ist und wie du dieses Wissen in deinen Praxisalltag als Begleitungsperson wirkungsvoll integrieren kannst.
Status Quo Bias
Die moderne (Arbeits-)Welt stellt viele Personen vor wichtige Beschlüsse. Persönlich im Alltag wie auch beruflich im Geschäft und der Karriere geht es oftmals darum, mit nötiger Veränderungsbereitschaft einen Entschluss zu fassen. Dabei scheint die aktuelle Lage so sicher, routiniert sowie vorhersehbar und daher nicht veränderungswürdig, dass die Vorteile eines Wechsels meist ignoriert werden. Wenn sich Menschen in Entscheidungsprozessen jedoch schwertun, sich für etwas neues, offensichtlich besseres zu entscheiden, dann liegt sehr wahrscheinlich die «Macht der Gewohnheiten» oder eben der Status Quo Bias vor.
Definition
Der Status Quo Bias oder auch die Status Quo Verzerrung ist ein psychologischer Effekt, der eine kognitive, also eine dem Denken und Wahrnehmen zu Grunde liegenden Verzerrung erzeugt, die dazu führt, den gegenwärtigen Zustand einer allfälligen Änderung vorzuziehen. Auch wenn diese Änderung objektiv betrachtet und rational besser wäre. Anders ausgedrückt haben Menschen, die dem Status Quo Bias unterliegen die übermässige Tendenz dazu, den Zustand so zu bewahren, wie er ist. Der Status Quo Bias steht in enger Verbindung mit der Verlustaversion, also die urmenschliche Neigung dazu, Verluste zu vermeiden. So führt der Status Quo Bias dazu, dass aufgrund Verlustangst das Neue vermieden wird, um einen Verlust nicht dem eigenen Handeln zuschreiben zu müssen. Der Status Quo Bias ist nicht etwa eine Persönlichkeitseigenschaft oder ein Krankheitsbild, sondern gehört zu einer Vielzahl kognitiver Verzerrungen, welche alle Menschen ab und an haben. Grundsätzlich entstehen diese durch «Denkabkürzungen» (sog. Heuristiken) im Alltag, welche dazu beitragen, dass nicht immer alle neuen Informationen neu «verrechnet» werden müssen (Glaser 2019).
Veränderung braucht Energie
Wer im italienischen Restaurant seines Vertrauens schon mal mit dem Gedanken gespielt hat, einfach mal eine andere Speise als die gewohnte Pizza Margherita zu bestellen, kennt den gedanklichen Energieaufwand, welcher mit einer Änderung verbunden ist. Ist der Caprese dann auch so, wie ich ihn haben möchte? Sind die Pasta dann auch al dente? Und Schwupps, ehe man sich versieht, beisst man genüsslich ins wohlbekannte Rundgebäck. Dieses banale Beispiel soll illustrieren, dass Veränderungen nebst einer Portion Mut immer auch mit einem Energieaufwand verbunden sind. Zu Gunsten ebendieser Energieeffizienz neigen Menschen dazu, bekannte Settings und bereits geebnete Denkwege immer wieder zu nehmen (Schüller 2021). Ein weiterer entscheidender Einfluss auf den Status Quo Bias hat die Optionenvielfalt, welche nicht selten zu einer Wahlüberlastung führen kann. Bei diesem verhaltenswissenschaftlichen Konzept geht es darum, dass eine grosse Auswahl viel Denkaufwand bedeutet. Je schwieriger es ist, alle Alternativen und ihren Einfluss auf das eigene Handeln zu überdenken, desto anspruchsvoller ist es, eine Entscheidung zu treffen (die Qual der Wahl). Oftmals liegt es nahe, dadurch keine Entscheidung zu fällen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Supermarkt: Die Vielzahl an Nature Jogurt im Kühlregal überfordert, weshalb der Griff zum altbekannten schnell erfolgt, obwohl ein anderes vielleicht rational betrachtet bessere Bakterienkulturen enthält. Hier kommt der Status Quo Bias in seiner ganzen Pracht zur Geltung, denn er entlastet Menschen von dieser Wahlüberlastung (Dean, Kibris & Masatlioglu 2014).
Entscheidend sind Optionen und Alternativen
Entscheidungen sind komplex, so auch die Wissenschaft, welche sie erforscht. Entscheidungspsychologisch wird unterschieden zwischen Optionen und Alternativen:
Optionen
Wenn mehrere Möglichkeiten zum gewollten Ziel führen, spricht man von Optionen. Eine Person, welche beispielsweise ein neues Bett will, hat die Möglichkeit zwischen Boxspringbetten, herkömmlichen und japanischen Betten zu wählen. Alle diese Optionen, egal für welche sich die Person entscheidet, führen zu einem neuen Schlafmobiliar.
Alternative
Möchte die Person einen Gutschein für ein spezifisches Möbelhaus einlösen, um ein neues Bett zu kaufen, und dieses Geschäft hat nur zwei Bettvarianten, dann wird die Entscheidung nur zwischen zwei Möglichkeiten gefällt. Entweder nimmt man Bett A oder als Alternative dazu Bett B.
Die Entweder-oder-Entscheidung ist hinsichtlich des Status Quo Bias die energieärmere. Wer sich zwischen A oder B, ja oder nein, schwarz oder weiss entschieden muss, fällt schneller und selbstbewusster einen Entschluss. Liegen allerdings Optionen vor, so wird es tendenziell schwierig, sich dezidiert festzulegen (Glatzmeier & Hilgert 2017).
Der Verzerrung entgegenwirken
Durch die Wirkung des Status Quo Bias fühlen sich viele Menschen situativ ohnmächtig und entscheidungsunfähig. Durch eine immer komplexer und unvorhersehbar werdende Welt sind auch Optionen und Möglichkeiten immer vielfältiger und unberechenbarer. So entsteht bei anstehenden Entscheidungen ein grosser Aufwand, um alles abzuwägen. Die Versuchung, dabei eine kognitive Verzerrung wie der Status Quo Bias oder eben eine Denkabkürzung zu nehmen, wird somit stärker. Es gibt kein Rezept, kein Training und keine Lösung, um solche Verzerrungen gänzlich abzuschalten oder zu umgehen. Jedoch gibt es Möglichkeiten, sich der Wirkung eines Status Quo Bias bewusst zu werden, was bei einer Entscheidung schon eine grosse Hilfe sein kann. Denn wer weiss, wie und wann ein Status Quo Bias waltet, dem sind auch Möglichkeiten gegeben, diesen im besten Fall gewissermassen zu neutralisieren:
- Bewusstsein schaffen: Wer sich ein Bewusstsein über das mögliche Wirken des Status Quo Bias verschafft, nimmt diesen besser wahr und kann Strategien entwickeln, um der Verzerrung entgegenzuwirken.
- (Ziele) reflektieren: Durch aktives Reflektieren der Entscheidungsgrundlage, beispielsweise Ziele, wird ersichtlich, dass manche Dinge vielleicht nur daher so gehandhabt werden, weil es schon immer so war. Nach ein Wenig Übung stellt sich eine reflektierte Haltung ein und Entscheidungen können vielseitiger und kritischer beleuchtet werden.
- Soziales Umfeld: Wer seine bevorstehenden Entscheidungen und die dadurch freigelegten Gedanken mit Mitmenschen teilt, kann dadurch einen Perspektivenwechsel erreichen und so die Entscheidung und deren Auswirkungen besser und vielseitiger analysieren. Austausch mit einer anderen Person bringt eigene Denkmuster hervor und bietet oftmals interessante Denkalternativen, sog. Reframings.
- Ziele setzen: Wer sich klar formulierte Ziele setzt, hat einen Fokus auf die Dinge, die es braucht, um die Ziele zu erreichen. So kann die Aufmerksamkeit mehr auf Veränderungen gerichtet sein, wodurch die Bereitschaft zur Veränderung steigt (Glaser 2019).
Eine weitere Möglichkeit, um dem Status Quo entgegenzuwirken und aus der Handlungsohnmacht zu kommen, ist das altbekannte 4-Schritte Modell nach Radatz (2011). Es hilft dabei, in einfachen Schritten Dinge zu identifizieren, welche bewahrt werden sollen und diese im Optimalfall in die neue Situation einzubringen.
Die Entscheidung zur Selbstwirksamkeit
Grundsätzlich ist es wichtig zu verstehen, dass die Entscheidung für etwas vorerst das Wichtigste ist, unabhängig von der konkreten Wahl. Wenn man sich festlegt und aktiv Entscheidungen trifft, handelt man selbstwirksam, egal wie die Entscheidung ausfällt. Dadurch kann man die Auswirkungen, ob positiv oder negativ, seinem eigenen Handeln zuschreiben, was zu einem Gefühl der Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit führt. Ganz nach der Theorie der Handlungs- und Lageorientierung, welche besagt, dass eher handlungsorientierte Menschen nach einem Missgeschick nicht an Gedanken festhalten, sondern eigene Fehler identifizieren – also selbstwirksam werden - und einen weiteren Versuch wagen. Denen gegenüber sind eher lageorientierte Menschen, welche nach Misserfolg in schlechten Gedanken verweilen und sich oder anderen Vorwürfe machen. Selbstwirksame Menschen oder Personen, welche somit eine sogenannte Kontrollüberzeugung haben, leben grundsätzlich mehr im Einklang mit ihrer Umwelt, sind positiver der Zukunft gegenüber gestimmt und verfügen über eine ausgeprägtere Resilienz.
Praxistipp für Begleitungsprozesse
Was bringt mir dieses Wissen in der Praxis?
In der Begleitungsarbeit geht es darum, Menschen in Ihren Anliegen und Herausforderung zu ermächtigen und Unterstützung zu bieten. Nicht zuletzt auch in Entscheidungsprozessen. Als Begleitungsperson wollen wir stets ressourcenorientiert unterstützen und mit Know How Kundinnen und Kunden begleiten. Geht es dabei um die Entscheidungsfindung, ist das Wissen über gewisse Heuristiken wie etwa der Status Quo Bias eine wichtige Grundlage, um gemeinsam mit Kundinnen und Kunden ihre Lösung zu gestalten. Im Resilienztraining beispielsweise können wir Entscheidungen unterstützen und damit Selbstwirksamkeit erarbeiten. Als Coaches helfen uns die vier Schritte, um gegen den Status Quo Bias vorzubeugen. Wir schaffen Situationsbewusstsein, regen Zielreflektionen an, inspirieren zum Gebrauch sozialer Ressourcen und helfen, Ziele zu setzen. So tragen wir dazu bei, dass Menschen in einer modernen Welt voller Optionen und Möglichkeiten ihre ganz individuellen Entscheidungen treffen und daran wachsen können.
Quellenangaben
Dean, M., Kıbrıs, Ö., & Masatlioglu, Y. (2017). Limited attention and status quo bias. Journal of Economic Theory, 169, 93-127. https://doi.org/10.1016/j.jet.2017.01.009
Glaser, C. (2019). Risiko im Management: 100 Fehler, Irrtümer, Verzerrungen und wie man sie vermeidet. Springer-Verlag.
Glatzmeier, A., & Hilgert, H. (Hrsg.). (2014). Entscheidungen: geistes- und sozialwissenschaftliche Beiträge zu Theorie und Praxis. Springer-Verlag.
Radatz, S. (2017). Beratung ohne Ratschlag 2. Relationales Management.
Schüller, A. M. (2021). 7 kognitive Verzerrungen, die Change-Projekte blockieren. Wissensmanagement, 3, 8-10. https://doi.org/10.1007/s43443-021-0252-5
[astart]
{Was ist der Status Quo Bias und wie wirkt er sich auf Entscheidungsprozesse aus?}
Der Status Quo Bias ist eine kognitive Verzerrung, die dazu führt, dass Menschen den aktuellen Zustand bevorzugen und Veränderungen meiden, auch wenn sie objektiv vorteilhafter wären. Diese Neigung entsteht aus der Angst vor Verlusten und der Bequemlichkeit bekannter Situationen.
{Welche Rolle spielt der Status Quo Bias in der Entscheidungspsychologie?}
Der Status Quo Bias ist eng mit der Verlustaversion verbunden, da Menschen dazu neigen, Verluste zu vermeiden und bekannte Optionen zu bevorzugen. Er tritt besonders dann auf, wenn Entscheidungen komplex sind oder eine grosse Auswahl an Optionen besteht.
{Wie können wir dem Status Quo Bias entgegenwirken?}
Es gibt verschiedene Strategien, um dem Status Quo Bias entgegenzuwirken. Dazu gehören das Schaffen von Bewusstsein über seine Wirkung, die Reflektion der eigenen Ziele, der Austausch mit anderen Personen und das Setzen klarer Ziele. Das 4-Schritte-Modell nach Radatz kann ebenfalls hilfreich sein, um Veränderungen zu erleichtern.
{Warum ist es wichtig, Selbstwirksamkeit in Entscheidungsprozessen zu fördern?}
Selbstwirksamkeits-Erleben, also das Gefühl, dass man Einfluss auf seine Umwelt und seine Handlungen hat, ist entscheidend für die psychische Gesundheit und Resilienz. Menschen, die sich selbstwirksam fühlen, sind optimistischer, zukunftsorientierter und widerstandsfähiger gegenüber Stress und Rückschlägen.
{Welche Rolle spielen Begleitungsprozesse und Coaching im Umgang mit dem Status Quo Bias?}
In Begleitungsprozessen und Coaching-Sitzungen ist es wichtig, Kunden dabei zu unterstützen, ihre Entscheidungen bewusst zu treffen und ihre Selbstwirksamkeit zu stärken. Durch das Wissen über kognitive Verzerrungen wie den Status Quo Bias können Coaches ihren Kunden helfen, alternative Perspektiven einzunehmen und ihre Entscheidungsfähigkeit zu verbessern.
[aende]