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Sustainability Coaching: Transformation im Kern des Unternehmens
Lesedauer: Ca. 10 Minuten
Nachhaltige Entwicklung rückt zunehmend in den Fokus von Organisationen und Unternehmen. Wie können Coaches ihre Kundinnen und Kunden dabei unterstützen, Nachhaltigkeit authentisch in ihrer Führungs- und Organisationskultur zu verankern? Das Sustainability Coaching bietet einen vielversprechenden Ansatz.
Von Harriet Moser und Pascal von Känel
Nachhaltigkeit: Mehr als nur ein Marketinginstrument
Im Kern geht es darum, einen Raum für Reflexion und Bewusstseinswandel zu schaffen, denn häufig werden Nachhaltigkeitsbestrebungen als zusätzliche Belastung oder oberflächliches Marketinginstrument wahrgenommen. Ein echter Kulturwandel findet jedoch nur statt, wenn Nachhaltigkeit zu einem integralen Bestandteil der gelebten Werte wird. Durch gezieltes Coaching können Führungskräfte und Teams ihren Purpose reflektieren, eigene Muster hinterfragen und Handlungsoptionen für mehr Nachhaltigkeit erkennen.
Warum fehlt die echte Bewusstseinsänderung?
Trotz umfangreicher Informationen über die ökologischen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit gelingt es oft nicht, eine echte Verhaltensänderung zu bewirken. Corporate Social Responsibility (CSR) wird häufig als leere Floskel angesehen und Nachhaltigkeit im Arbeitsalltag als Störfaktor empfunden, statt als Möglichkeit zur Sinnstiftung.
Der systemische Coachingansatz schlägt die Brücke zur ganzheitlichen Nachhaltigkeitsperspektive. Beide eröffnen den Blick für Komplexität und individuelle Lösungen, jenseits starrer Vorgaben. Im geschützten Raum können Mitarbeitende selbstbestimmt an neuen Denkmustern und Verhaltensweisen arbeiten, die zu ihren Werten passen. So entsteht eine sinnstiftende Organisationskultur der Innovation, Offenheit und Identifikation – Nachhaltigkeit wird authentisch gelebt.
Der transformative Effekt von Nachhaltigkeitscoaching
Coaches sind gefordert, diesen Transformationsprozess ressourcenorientiert zu begleiten. Weg von technischen Ansätzen wie Berichterstattung hin zu einer intrinsisch verankerten Nachhaltigkeitskultur. Nur wenn wir Nachhaltigkeit aus den Menschen und Organisationen heraus entstehen lassen, kann echte Bewusstseinsveränderung und gesellschaftliche Wirkung erzielt werden.
Nachhaltigkeitscoaching greift tiefer als nur die Anpassung von Prozessen; es zielt darauf ab, ein Umdenken zu bewirken, das sich durch die gesamte Organisationskultur zieht und eine positive Ausstrahlung auf das gesellschaftliche Umfeld hat. Durch Coaching von Führungskräften und Teams werden Werte reflektiert, Verhaltensmuster hinterfragt und neue Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Dies stärkt nicht nur die interne Kultur, sondern fördert auch eine authentische gesellschaftliche Transformation gemäss dem Grundsatz „Tue, was du predigst“.
Systemischer Ansatz für nachhaltige Lösungen
Der systemische Coachingansatz unterstützt den Nachhaltigkeitsgedanken, indem er einfache Ursache-Wirkungs-Modelle überwindet und eine Öffnung für komplexe, situationsangepasste Lösungen bietet. Im Coachingprozess werden die Auswirkungen des eigenen Handelns reflektiert, was zu selbstbestimmten und werteorientierten neuen Sichtweisen und Handlungsoptionen führt. So entsteht eine von den Mitarbeitenden selbst getragene, identitätsstiftende und innovative Kultur, die ohne oberflächliches Greenwashing auskommt. Nachhaltigkeitscoaching ist somit eine wesentliche Säule für Organisationen, die echte Veränderung anstreben und eine nachhaltige Zukunft gestalten wollen, getragen von Mitarbeitenden, die ihre Werte leben.
Bewusstseins- und Verhaltensänderung durch Nachhaltigkeitscoaching
Sustainability Coaching ist also eine innovative und ganzheitliche Herangehensweise, die Menschen und Organisationen dabei unterstützt, nachhaltige Praktiken in das persönliche und berufliche Leben zu integrieren, ihr Sustainability Mindset zu entwickeln und auch zu verankern. Nachhaltigkeit wird als integraler Bestandteil einer sinnstiftenden Führungskultur entwickelt.
Nikolina Fuduric, Expertin für Sustainability Marketing erklärt, wie das von ihr entwickelte Modell, der Sustainability Marketing Canvas, dabei helfen kann, Unternehmen nachhaltiger zu gestalten und Nachhaltigkeit nicht nur als oberflächliches Marketinginstrument zu betrachten, sondern mit dem Ansatz «Learning – Doing – Being» auch als tiefgreifende Veränderung im Denken, Handeln und insbesondere im Mindset zu verankern.
Die Expertin
Prof. Dr. Nikolina Fuduric leitet an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) im Herbst 2025 unter anderem das neue CAS Product Management: Nachhaltigkeit als Innovationstreiber. Sie doziert in anderen Weiterbildungen zum Thema «Sustainability Marketing» und ist Mitgründerin des FHNW Sustainability Salons. Die Nachhaltigkeitsexpertin berät auch Unternehmen zu Sustainability Marketing und hat den Sustainability Marketing Canvas entwickelt, den sie bei der Firma Hilti AG erfolgreich als Pilotprojekt umgesetzt hat.
Frau Fuduric, Sie arbeiten im Bereich Sustainability Marketing, was ist genau darunter zu verstehen?
Das ist eine wirklich gute Frage. Die kurze Antwort ist, dass das niemand wirklich weiss. Es gibt so viele Begriffe wie Nachhaltigkeitsmarketing, Ökomarketing, grünes Marketing, Sozialmarketing und niemand weiss wirklich, wo das eine Konzept anfängt und das andere aufhört. Das war mein erster Kritikpunkt an der Marketingdisziplin - die Inkohärenz im Bereich der Nachhaltigkeit.
Was hat Sie dazu inspiriert, den Sustainability Marketing Canvas (SMC) zu entwickeln?
Nachdem ich alles über Nachhaltigkeitsmarketing gelesen hatte, was ich finden konnte, wurde mir klar, dass ich eine Struktur brauchte, um diese Kohärenz zu erreichen. Ohne Kohärenz gab es auch keine Möglichkeit, eine positive, skalierbare Wirkung zu erzielen.
Wie wird der Sustainability Marketing Canvas eingesetzt und wie profitieren Unternehmen davon?
Der Sustainability Marketing Canvas (SMC) kann auf drei Arten verwendet werden. Erstens kann das Unternehmen es als Instrument nutzen, um seinen derzeitigen Reifegrad in Sachen Nachhaltigkeit einzuschätzen. Zweitens kann es als Planungsinstrument genutzt werden, um die zukünftige Richtung der Nachhaltigkeit festzulegen. Drittens kann es als Grundlage für die Messung von Nachhaltigkeitsaktivitäten dienen. Der SMC hat ausserdem den Vorteil, dass er dem gesamten Unternehmen ein gemeinsames Konzept für Nachhaltigkeit vermittelt.
Mit welchem Menschentyp haben Sie es zu tun bei ihrer Beratung von Unternehmen?
Das ist eine interessante Frage... Normalerweise gibt es zwei Personen, die sich für den SMC interessieren. Erstens die eher reaktiven Manager, die Nachhaltigkeit als etwas sehen, zu dem sie durch die Einhaltung von Vorschriften und Bestimmungen gezwungen werden. Die zweite Art von Manager ist proaktiver und sieht viele positive Möglichkeiten in dieser Disruption des Marktes durch Nachhaltigkeitsanforderungen. Sie sehen in jedem der Ps an der Spitze des SMC neue Chancen für Innovationen.
Gibt es bewährte Methoden oder Strategien, um Nachhaltigkeit in den Führungskräften, den Mitarbeitenden (Stichwort Mitarbeitermotivation) und generell im Unternehmen zu integrieren?
Nein, es gibt noch keine allgemeinen Best Practices. Wir befinden uns in einem neuen, disruptiven Markt, der mit viel Wissen und Informationen gefüllt ist, und nur sehr wenig davon ist organisiert und umgesetzt. Ich kann jedoch einen guten Anfang für jedes Unternehmen vorschlagen. Beginne damit, eine Ist-Situation der Nachhaltigkeitsaktivitäten zu erstellen und überlege, was kurz-, mittel- und langfristig getan werden kann.
Welche Herausforderungen beobachten Sie typischerweise, wenn Unternehmen versuchen, nachhaltiger zu werden?
Die grösste Herausforderung für die meisten Unternehmen besteht meiner Meinung nach darin, eine Vogelperspektive auf die Nachhaltigkeit als Ganzes zu finden. Sie neigen dazu, sich auf einzelne Teile zu konzentrieren, und dann sind die Strategien nicht miteinander verknüpft und werden nicht als System gesehen.
Eine weitere Herausforderung ist, dass sich die Anforderungen so schnell ändern, dass es schwer ist, mit ihnen Schritt zu halten.
Wie kann ein Unternehmen sicherstellen, dass Nachhaltigkeit nicht nur als kurzfristiges Trendthema betrachtet wird, sondern fest in der Unternehmenskultur verankert ist?
Ich denke, das Management muss Nachhaltigkeit nicht nur als einen Geschäftsprozess sehen, sondern auch als etwas, das in den Werten der Organisation verankert ist. Sie müssen sie auch als etwas sehen, das ihr Geschäft durch mögliche Kostensenkungen, mehr Innovationspotenzial und Risikominderung verbessert. Es gibt auch einen grossen philosophischen Aspekt. Ich denke, wir können und sollten uns grössere, interessantere Fragen für die Wirtschaft stellen. Warum können wir keine erfolgreichen Unternehmen haben, ohne der Umwelt und den marginalisierten Menschen zu schaden? Warum können Unternehmen nicht Gutes tun und gleichzeitig profitabel sein? Warum können Unternehmen keine inspirierenden, unterstützenden Institutionen in unserer Gesellschaft sein? Es spricht nichts dagegen. Es braucht einfach andere Diskussionen…. vielleicht auch Menschen?
Ich höre oft Gegenargumente zu dieser Frage. Manager sagen mir, dass es nicht der Zweck von Unternehmen ist, Gutes zu tun. Sie weisen meist darauf hin, dass wir in einem freien Markt funktionieren. Die Wahrheit ist jedoch, dass unsere neoliberalen Wirtschaftspraktiken keinen wirklich freien Markt darstellen. Was wir jetzt haben, sind Unternehmen, die unsere kollektiven Ressourcen ausnutzen, ohne dafür zu bezahlen. Wir hätten einen wirklich freien Markt, wenn die Unternehmen ihre wahren Kosten in ihren Einkommenserklärungen angeben würden. Von welchen Kosten spreche ich? Die Kosten für die Verschmutzung unserer Luft und unseres Wassers, die Kosten für den Verlust der Artenvielfalt und die Kosten für menschliches Leid, das durch Entlassungen oder ein ungesundes Arbeitsumfeld verursacht wird. All diese Kosten werden indirekt von unseren Steuern und von unseren Regierungen bezahlt. Unternehmen werden sogar subventioniert, damit sie ihre unverantwortlichen Praktiken fortsetzen.
Können Sie Beispiele der Transformation geben, bei denen Unternehmen mithilfe Ihrer Beratung und dem Sustainability Marketing Canvas ihre Nachhaltigkeitsziele erreicht haben?
Sicher. Bei Hilti wurde der SMC genutzt, um dieselbe Art von Nachhaltigkeitsinformationen aus allen neun Geschäftsbereichen zu sammeln. Sie wollten einen einheitlichen Berichtsprozess haben, der für die ESG-Berichte an die Unternehmensleitung geschickt werden konnte. In verschiedenen KMUs wurde der SMC verwendet, um die IST-Situation zu bewerten, und es half diesen Organisationen zu entscheiden, welche Ressourcen sie für die verschiedenen Compliance- und Zertifizierungsanforderungen benötigten.
Der SMC war auch sehr hilfreich, um den Organisationen ein gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit zu vermitteln.
Wie kann Sustainability Coaching Unternehmen dabei unterstützen, Nachhaltigkeit zu verankern?
Der SMC wurde als Coaching-Tool entwickelt, um vor allem KMU zu unterstützen:
- Einen Überblick über ihre aktuelle Situation zu erhalten (Ist- Situation)
- Künftige Nachhaltigkeitsstrategien ganzheitlich zu planen (Soll-Situation)
- Mit dem SMC fundierte Entscheidungen darüber zu treffen, welche Aspekte ihrer Aktivitäten gemessen oder zertifiziert werden sollen, um Greenwashing zu vermeiden.
Abschliessend, welche Tipps für erste Schritte können Sie der Leserschaft geben, um zu einer nachhaltigeren Zukunft beizutragen?
Ich denke, der wichtigste allgemeine Tipp, den ich geben kann, ist, von der Katastrophenvorstellung über unsere gemeinsame Zukunft wegzukommen und darüber nachzudenken, dass unsere Zukunft regenerativ und fröhlich sein kann.
Schliesslich sind wir die Schöpfer dieser Zukunft mit dem, was wir heute tun. Wenn wir das verinnerlichen, ist für jeden in seinem Einflussbereich, alles Gute möglich.
Der Sustainability Marketing Canvas
Der 7 P Marketing-Mix ist ein Modell, das in den 1950er Jahren von Neil Borden für Marketingzwecke entwickelt wurde. Der 7P Marketing-Mix ist eine Erweiterung des klassischen 4P Marketing-Mix – Product, Price, Place, Promotion (Produkt, Preis, Vertrieb, Kommunikation) um drei weitere Elemente.
Die Triple Bottom Line (Elkington, 1994) ist ein Konzept der Nachhaltigkeit, das sich um die drei Ps dreht – People, Planet und Profit (Menschen, Planet und Gewinn). Durch die Maximierung aller drei Ps können Unternehmen mit grösserer Wahrscheinlichkeit einen positiven Einfluss auf die Welt nehmen und gleichzeitig ihre finanzielle Leistung verbessern.
Im Sustainability Marketing Canvas werden diese beiden bislang isoliert betrachteten Konzepte zusammengeführt. Dadurch entsteht eine ganzheitliche Perspektive, die es ermöglicht, ökologische, soziale und gewinnorientierte Faktoren systematisch in das Marketing zu integrieren.
Durch den Einsatz des Sustainability Marketing Canvas können Unternehmen sicherstellen, dass sie die relevanten Nachhaltigkeitsthemen umfassend berücksichtigen und in ihre Marketingaktivitäten einfliessen lassen. Dies trägt dazu bei, dass Nachhaltigkeit nicht nur ein Randthema bleibt, sondern tatsächlich in der Unternehmenspraxis verankert wird.
Die untenstehende Abbildung des Sustainability Marketing Canvas dient als exemplarisches Beispiel, um aufzuzeigen, wo verschiedene Nachhaltigkeitsthemen im Canvas angeordnet sein können. In der Praxis wird jedes Unternehmen seine eigenen spezifischen Inhalte und Schwerpunkte für das Canvas erarbeiten müssen. Dieser individuelle Ansatz ist wichtig, da sich die relevanten Nachhaltigkeitsaspekte von Branche zu Branche und von Unternehmen zu Unternehmen unterscheiden können. Der Sustainability Marketing Canvas bietet somit einen Rahmen, der an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden muss, um eine effektive Umsetzung von Nachhaltigkeit in der Organisation zu ermöglichen.
Abb.: Sustainability Marketing Canvas nach Prof. Dr. Nikolina Fuduric
Die Autorenschaft
ist beim Coachingzentrum als Leiterin Marketing & Kommunikation tätig. Sie verfügt über eine langjährige Berufserfahrung im Bereich Marketing und Kommunikation. Ihr Fachwissen hat sie mit diversen Weiterbildungen und beruflichen Tätigkeiten in verschiedenen Branchen vertieft.
befindet sich im Masterstudium für Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie & Verhaltensmedizin an der Universität Bern. Mit ersten Berufserfahrungen im Bildungswesen und der Psychiatrie unterstützt er das Coachingzentrum als Praktikant in der Produktentwicklung.