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Was bedeutet der Tetris-Effekt?

Für euch nachgefragt im Februar 2021

Begriffe rund um Coaching, betriebl. Mentoring, Supervision und Resilienztraining wirkungsvoll erklärt

In diesem Monat haben wir bei Stefanie Philipp, unserer Fachspezialistin Produkteentwicklung, nachgefragt, was der Begriff «Tetris-Effekt» bedeutet. Im folgenden Text erläutert sie, woher der Begriff stammt, was darunter zu verstehen ist und wie dieses Wissen in Begleitungsprozesse einfliessen kann. 

 

Der Tetris-Effekt

Der «Tetris-Effekt» geht auf das gleichnamige Computerspiel, das 1984 auf den Markt kam, zurück und bezeichnet einen neuropsychologischen Effekt, der dank dem puzzleartigen Spiel entdeckt wurde. Tetris gilt inzwischen als Computerspiel-Klassiker – bis heute ist das Spielprinzip der fallenden Bausteine bekannt. So simple dieses Spiel auch wirken mag, Wissenschaftler fanden dadurch Spannendes heraus.

Entdeckung und weiterführende Untersuchungen

Der «Tetris-Effekt» wurde zum ersten Mal von Jeffrey Goldsmith im Jahr 1994 formuliert. Stickgold und Kollegen (2000) untersuchten den Begriff weiter und kamen dabei zu spannenden empirischen Befunden. In ihren Untersuchungen wurden Versuchspersonen dazu eingeladen, für mehrere Stunden am Tag Tetris zu spielen. Dadurch erfuhren die Teilnehmenden das Phänomen, das als «Tetris-Effekt» bekannt wurde: Noch Tage nach der Studie träumten einige von farbigen Bausteinen, die vom Himmel fallen. Andere sahen selbst in ihren Wachphasen die typischen Formen aus dem Spiel. So kam man zum Schluss: Für eine lange Zeit Tetris zu spielen, kann unsere Gedanken, unsere Gedankenbilder und unsere Träume beeinflussen.

Auf unseren Alltag übertragen bedeutet diese Erkenntnis, dass Dinge, mit denen wir uns intensiv beschäftigten, die Kraft haben, unser Denken zu verändern. Je mehr Zeit wir einer Sache widmen, desto mehr beeinflusst es die Art und Weise, wie wir die Welt sehen und wahrnehmen. Ist dieser Einfluss sehr gross, so spricht man vom «Tetris-Effekt».

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Neurologische Funktionsweise

Eigentlich spiegelt der Tetris-Effekt einen ganz natürlichen Automatismus des Gehirns wider. Durch die intensive Beschäftigung mit den Tetris-Formen generiert unser Gehirn neue Nervenbahnen und Verknüpfungen, die durch viele Wiederholungen noch besser und schneller genutzt werden. Je stärker dies trainiert wird, desto mehr wird der Automatismus auch in anderen Bereichen (wie z.B. in Träumen) angewendet (Ebner 2017). Dieses (Übertragungs-)Phänomen ist auch ausserhalb des Tetris-Spielfeldes bemerkbar: Wenn man zum Beispiel für eine gewisse Zeit an einem Projekt sitzt, in dem es um blaue Autos geht, ist die Chance gross, dass man auf der Straße eher blaue als rote Autos wahrnimmt.

Die neurologische Funktionsweise des Tetris-Effekts zeigt sich auch in anderen Bereichen wie beispielweise bei psychischen Erkrankungen. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass der Tetris-Effekt dazu beitragen kann, die Aufdringlichkeit emotionaler Erinnerungen zu reduzieren, die mit traumabezogenen klinischen Störungen wie der posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) in Verbindung gebracht werden (James et al. 2015). Konkret wird die Übertragung der emotionalen Erinnerungen ins Langzeitgedächtnis durch das Tetris-Spiel, das in diesem Fall eine Art konkurrierende kognitive Aufgabe darstellt, unterbrochen und dadurch vermindert (Stangl 2021).

Bedeutung für die Positive Psychologie

Die (neuro-)psychologische Forschung zum Tetris-Effekt (und anderen ähnlichen Phänomenen) verdeutlicht: Unsere Gedanken haben mehr Einfluss als wir (oftmals) annehmen. Das, was uns tagtäglich durch den Kopf geht, beeinflusst nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern hat auch Auswirkungen auf Gedankenmuster und Erwartungshaltungen, die wir entwickeln. Wir Menschen können die neurologische Wirkung des Tetris-Effekts folglich positiv für uns nutzen, indem wir bestimmte Dinge immer wieder tun und damit unser Denken, Fühlen und Verhalten verändern.

Im Sinne der Positiven Psychologie können wir unser Gehirn beispielsweise trainieren, sich vermehrt auf das Positive zu fokussieren. Durch positive Erfahrungen, welche die synaptischen Verschaltungen im Nervenzellen-Netzwerk verändern, kann zum Beispiel Optimismus gefördert werden. Wir können also unsere Erwartungen und Sicht auf die Welt beeinflussen, indem wir bewusst nach positiven Eindrücken und Ereignissen suchen und so die Aufmerksamkeit weg vom Negativen hin zum Positiven lenken (Ebner 2019). Mit diesem neuen Fokus fällt es auch leichter, kleine positive Dinge wahrzunehmen – was wiederum die eigene Resilienz stärkt.

 

Praxistipp für Begleitungsprozesse

Was bringt mir dieses Wissen in der Praxis?

Als Resilienztrainer/-innen können wir mit dem Wissen rund um den Tetris-Effekt Menschen dabei unterstützen, diesen positiv für sich zu nutzen. Konkret heisst das, ihnen den Effekt aufzuzeigen und sie dazu anzuregen, positive Gedanken und Gefühle zu kultivieren, um so die Aufmerksamkeit bewusst auf das Positive zu lenken. Darüber hinaus können wir in unserer Rolle als Resilienztrainer/-innen Personen beim Erforschen und Erkennen ihrer eigenen Stärken begleiten, wodurch sie einen Tetris-Effekt auslösen sprich neue Wahrnehmungen und Möglichkeiten schaffen können. Vor allem Führungskräfte können durch ein tägliches stärkenbasiertes (Gedanken-)Training von einer Orientierung hin zu Stärken und Ressourcen profitieren. Aber nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Mitarbeitenden scheinen den veränderten Schwerpunkt zu übernehmen. Studien, die sich auf den Tetris-Effekt stützen, konnten zeigen, dass der Fokus auf eigene Stärken auch zu einer stärkenorientierten Sichtweise bei anderen Personen führt (Ebner 2017). Dies ermöglicht stärkenorientiertes Arbeiten im Team und schafft neue Ressourcen – Ressourcen, die im Umgang mit Herausforderungen stark machen.

 

Quellenangaben 

Earling, A. (1996). The Tetris effect: Do computer games fry your brain? Philadelphia City Paper.
Ebner, M. (2017). 4-Evening-Questions: Eine einfache Technik mit tiefgreifender Wirkung. Eine qualitative Studie. Springer: Wien.
Ebner, M. (2019). Positive Leadership. Erfolgreich führen mit PERMA-Lead: die fünf Schlüssel zur High Performance. Facultas: Wien.
James, E. L., Bonsall, M. B., Hoppitt, L., Tunbridge, E. M., Geddes, J. R., Milton, A. L., et al. (2015a). Computer game play reduces intrusive memories of experimental trauma via reconsolidation-update mechanisms. Psychol., Sci. 26, S.1201–1215.
Kazis, C. (2016). Tetris-Effekt: Wenn unser Denken dominiert wird. SRF Wissen. URL: www.srf.ch/kultur/wissen/tetris-effekt-wenn-unser-denken-dominiert-wird (abgerufen am 04.01.2021).
Maercker, A. (2019): Niedrigschwellige und innovative Interventionen, in: Traumafolgestörungen, Springer: Wien, S.299-310.
Stangl, W. (2021). Stichwort: 'Rekonsolidierung'. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik. URL: lexikon.stangl.eu/13671/rekonsolidierung/ (abgerufen am 04.01.2021).
Stickgold, R., Malia, A., Maguire, D., Roddenberry, D., & O’Connor, M. (2000). Replaying the game: Hypnagogic images in normals and amnesics. Science, 290, S. 350–353.

 

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