Was bedeutet Kohärenzgefühl?

Kohärenzgefühl


Definition

Der israelisch-amerikanische Medizinsoziologe und Stressforscher Aaron Antonovsky (1923- 1994) ging der Frage nach, wie Individuen trotz auftretender Belastungen ihre Gesundheit erhalten. Als Antwort auf seine Frage nannte er das Kohärenzgefühl (sense of coherence, SOC). Das Kohärenzgefühl wird als stabile Persönlichkeitsdisposition defininiert und soll durch die Wahrnehmung eigener Bewältigungsstrategien und effizienten Problemlöseverhalten zu reduziertem Stress und verringerten Erkrankungsrisiken führen. Beim Kohärenzgefühl handelt es sich um eine Art Steuerungsprinzip, nach dem die benötigten Ressourcen ausgewählt und eingesetzt werden. Das Kohärenzgefühl bildet das Kernstück der Salutogenese. Der Begriff der Salutogenese wurde von Antonovsky gebildet. Er stellt der Pathogenese, welche nach den Bedingungen von Krankheit fragt, die Salutogenese gegenüber, in der es um die Bedingungen von Gesundheit und deren Förderung geht (Antonovsky, 1988).

Was sind die Komponenten des Kohärenzgefühls?

Das Kohärenzgefühl nach Antonovsky besteht aus drei Komponenten:

1.Verstehbarkeit (comprehensibility)
Ereignisse der inneren und äusseren Welt werden als geordnet, vorhersehbar und erklärbar und nicht als willkürlich, zufällig oder gar chaotisch wahrgenommen. Diese Wahrnehmungen tragen dazu bei, dass Individuen mit hohem Kohärenzgefühl auch unvorhergesehene Ereignisse einordnen können (Mertens & Höfer, 2008). Diese Komponente wird durch das Erleben von Konsistenz geformt. Da Reize und Erfahrungen nicht völlig willkürlich widersprüchlich und unvorhersehbar auftreten, können sie eingeordnet, zugeordnet und strukturiert werden (Bengel, Strittmacher, & Willmann, 1998).

2. Handhabbarkeit bzw. Bewältigbarkeit (manageability)
Die Überzeugung, dass Schwierigkeiten lösbar und geeignete Ressourcen verfügbar sind, die benötigt werden, um die Anforderungen angemessen zu bewältigen. Dabei geht es nicht nur um die Kontrolle und den Einsatz eigener Ressourcen, sondern auch um die Ressourcen von beispielsweise der Ehepartnerin oder dem Ehepartner oder anderen Vertrauenspersonen. Ein hohes Ausmass an Handhabbarkeit verhindert, dass sich Individuen nicht als Opfer von Ereignissen fühlen, sondern mit Schicksalsschlägen umgehen können (Antonovsky, 1997). Diese Komponente entsteht durch das Erleben von ausgewogener Belastung. Das bedeutet, dass die Person weder Über- noch Unterforderung ausgesetzt ist (Bengel et al., 1998).

3. Gefühl von Bedeutsamkeit bzw. Sinnhaftigkeit (meaningfulness)
Sinnhaftigkeit ist das Ausmass des Gefühls, einen Sinn im Leben zu sehen und zu fühlen, so dass es sich lohnt, Energie in die gestellten Anforderungen und Probleme zu investieren und die Orientierung zu finden (Höfer, 2000). Diese Komponente wird durch die Erfahrung gefördert, auf die Gestaltung von Situationen Einfluss zu haben (Bengel et al., 1998).

 

Was bringt mir dieses Wissen in der Praxis?

Gemäss Antonovsky sind grundsätzlich Veränderungen des Kohärenzgefühls nach dem 30. Lebensjahr nicht mehr möglich. Inzwischen liegen jedoch eine Reihe internationaler Studien vor, die teilweise nachweisen, dass das Kohärenzgefühl durch Interventionen auch später noch veränderbar ist. Wichtig ist, die drei Komponenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit zu fördern, indem diejenigen Ressourcen gefördert werden, die für diese Komponenten entscheidend sind. Belastungen führen gemäss Antonovsky nicht gleich zu Krankheiten. Entscheidend ist, wie die Stressoren in Angriff genommen werden. Die Verarbeitungsweise ist wichtig für den weiteren Verlauf des Gesundheitszustandes. Die individuelle Bewältigung von Stressoren ist abhängig von den verfügbaren Widerstandsressourcen. Gesunde und psychisch stabile Menschen, die über Widerstandsressourcen verfügen, können mit Stressoren, wie belastende Lebens- und Alltagserfahrungen, eher produktiv umgehen. Diese Widerstandsressourcen sind bspw. im Individuum und in seiner sozialen Umwelt, aber auch in seiner Lebens- und Arbeitswelt zu finden. Im Individuum sind es beispielsweise das eigene Immunsystem, Intelligenz, Bildung oder Bewältigungsstrategien. In der sozialen Umwelt sind es beispielsweise die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen, soziale Zugehörigkeit aber auch materielle Ressourcen wie Geld und Arbeit (Antonovsky, 1979, 1997).

 

Quellenangaben

Antonovsky, A. (1979): Health, stress, and coping. New perspectives on mental and physical well- being. San Francisco: Jossey-Bass. Antonovsky, A. (1997): Salutogenese. Zur Entmystizierung der Gesundheit. Dt. erweiterte Herausgabe von A. Franke. Tübingen: dgvt. www.coachingzentrum.ch 2 Tipp! Bengel, J., Strittmacher, R., & Willmann, H. (1998): Was erhält Menschen gesund? Antonovskys Modell der Salutogenese – Diskussionsstand und Stellenwert. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Höfer, R. (2000). Jugend, Gesundheit und Identität. Studien zum Kohärenzgefühl. Opladen. Mertens, G. (2008). Balancen. Pädagogik und das Streben nach Glück, Paderborn.


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