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Savoring

Know-how und Do-how für Coaches

Lesedauer: ca. 7 Minuten

Aktuelles Know-how und spannendes Do-how aus der Coachingwelt warten auf dich! Lass dich für deinen Praxisalltag als Begleitungsperson inspirieren und halte dein Fachwissen aktuell. 

Lerne in diesem Monat den Begriff «Savoring» kennen. Erfahre durch Sonja Kupferschmid, Geschäftsführung, was darunter zu verstehen ist und wie du dieses Wissen in deinen Praxisalltag als Begleitungsperson wirkungsvoll integrieren kannst.

Savoring – Geniessen

Den Sonnenuntergang mit all seinen Phänomenen nuanciert wahrnehmen und sich dabei vollumfänglich daran erfreuen – einfacher gesagt als getan. Solche und andere Genussmomente zu finden, dürfte uns dank zunehmender Flexibilität in unserem beruflichen und privaten Alltag einfacher fallen denn je. Doch geniessen wir diese Augenblicke wirklich oder wohnen wir ihnen nur bei? «Savoring» ist ein Konzeptbegriff, der genau dieses Spannungsfeld beleuchtet und versteht sich dabei als aktiver Gegenspieler zu Stresserleben. 

Definition

Savoring – einfach gesagt «geniessen» oder «auskosten» – ist ein Begriff aus der Positiven Psychologie und Teil der darin angesiedelten Genussforschung. Das Konzept des Geniessens (Concept of savoring) wird als ein kognitiver und verhaltensbezogener Prozess definiert, der darauf abzielt, die Erzeugung, Aufrechterhaltung und Verstärkung positiver Affekte zu fördern. Bedingung des Savoring ist das aufmerksame, achtsame Wahrnehmen und bewusste Reflektieren dessen, was um uns herum geschieht und was dabei in uns selbst ausgelöst wird. Der Fokus richtet sich sowohl nach aussen, auf die Situation, als auch nach innen, auf das positive Glückserleben (Bryant & Verhoff 2007). 

Geniessen ist nicht gleich Genuss 

Eine der Hauptannahmen des Konzeptes des Geniessens besagt, dass unterschieden werden muss zwischen Genuss und Geniessen (pleasure vs. savoring). Obwohl beide Begrifflichkeiten in offensichtlicher Verbindung zueinanderstehen, unterscheiden sie sich in der Hinsicht, dass der Genuss, beispielsweise von einer guten Mahlzeit, quasi das unreflektierte Vergnügen an einem Gericht repräsentiert. Also der Geschmack, die Konsistenz, das Ambiente und so weiter. Wobei es beim Geniessen (Savoring) eher darum geht, sich der Erfahrung des Vergnügens bewusst zu werden und die positiven Emotionen zu schätzen, die sich daraus ergeben (Bryant & Verhoff 2007).

Beispiel Genuss: Du schlemmst dein Leibgericht und führen sich vor Augen, wie sich die sämige Sauce mit den herben Kräutern ergänzt und dabei die Frische der Beilage zur Geltung bringt: Du hast einen Genuss.

Beispiel Geniessen: Du schlemmst dein Leibgericht und lässt die dadurch ausgelöste Wonne und Heimeligkeit auf dich wirken. Du fühlst dich sicher und angenehm umgarnt: Du geniesst.

Die drei Arten des Geniessens

Savoring wird in der Fachliteratur in drei Arten unterteilt: An erster Stelle steht das Geniessen eines vergangenen Momentes. Beispielsweise das In-Erinnerung-Schwelgen über alte, lustige Schulerlebnisse (savoring the past). Die zweite Art des Geniessens dreht sich um die Gegenwart. Hier werden die im Moment erlebten Eindrücke genossen, wie beispielsweise der Geruch und der Geschmack eines neuen Gerichtes (savoring the moment). Als Letztes steht das Geniessen eines noch bevorstehenden positiven Ereignisses, wie beispielsweise die Vorfreude auf die kommenden Strandferien (savoring the future) (Bryant & Verhoff 2007).

Die drei Stufen des Geniessens (3 levels of savoring)

Da es sich bei Savoring um ein Konzept handelt und nicht einfach um eine Sensation, wird es in drei Stufen unterteilt, um es näherzubringen und greifbarer zu machen.

Stufe 1Savoring experiences: Die erste Stufe bezieht sich auf das Gesamterlebnis, während die Aufmerksamkeit absichtlich auf die Wertschätzung positiver Ereignisse gerichtet ist. Dieses Level umfasst Empfindungen, Emotionen, Gedanken und Verhaltensweisen, die mit der jeweiligen Umgebung verbunden sind. Ein Beispiel hierfür kann sein, wenn du am Strand sitzend die befreiende Meeresbrise schnuppern und dabei den warmen Sonnenuntergang beobachtest.

Stufe 2Savoring processes: Diese Prozesse verbinden ein positives Ereignis mit positiven Emotionen, indem sie verschiedene positive Zustände modulieren. Beispielsweise reguliert die Wertschätzung einer fremden Person gegenüber, welche die Fahrstuhltüre offengehalten hat, damit du noch reinhuschen kannst, Dankbarkeit als positiven emotionalen Zustand.

Stufe 3Savoring responses: Dies sind die spezifischen Gedanken oder Verhaltensweisen, die als Reaktion auf ein positives Ereignis auftauchen. Beispielsweise eine Umarmung beim Anblick eines Feuerwerkes. Solche Reaktionen verstärken die Intensität und die Dauer positiver Emotionen (Bryant & Verhoff 2007).

Eben solche positiven Erlebnisse stehen in direkter Verbindung mit unserer Gesundheit. Sie stärken und machen uns widerstandfähig für Momente, welche manchmal nicht ganz so genussvoll sind. 

Wie Geniessen die Resilienz stärkt

Das Konzept des Geniessens ist in der Glücksforschung rund um die Positive Psychologie ein weit integriertes Modell und wurde daher im Zusammenhang mit anderen Grosskonzepten, wie beispielsweise Resilienz, untersucht. Die Vorteile kommen jedoch nicht einfach so, dafür müssen folgende Voraussetzungen erfüllt werden: Die Fähigkeit, sich mit dem gegenwärtigen Moment zu verbinden, frei sein von dringlichen sozialen Verantwortungen, basale physische und psychische Unversehrtheit sowie die Möglichkeit zur Reflexion und Metawahrnehmung (Smith & Bryant 2017).

Sind diese Voraussetzungen und individuellen Fähigkeiten geben, kann vor allem im Rahmen der Widerstandsfähigkeit und im Umgang mit Stress von Savoring profitiert werden. So fördert der Fokus auf positive Emotionen und das Geniessen solcher Situationen, die sie auslösen, die Beziehungsgestaltung und den Optimismus – zwei der sieben Säulen der Resilienz. Des Weiteren gilt Savoring als persönliche Ressource gegen Stress, kann diese ergänzen, erweitern und ausbauen (Tugade & Frederickson 2007).

Studien haben gezeigt, dass ältere Erwachsene, welche eine hohe Lebenszufriedenheit haben, ebenso eine ausgebaute Kompetenz im Savoring nachweisen. Grundsätzlich ist die Verbindung zwischen Resilienz und Savoring eine starke, wobei der Zusammenhang zwischen Geniessen und psychischem Wohlbefinden bei Menschen mit einer niedrigeren Resilienz stärker ausgeprägt ist. Das bedeutet, dass weniger belastbare Personen stärker vom Konzept des Geniessens profitieren (Smith & Hollinger-Smith 2015). 

Praxistipp für Begleitungsprozesse

Was bringt mir dieses Wissen in der Praxis?

Als Begleitungspersonen bietet uns Savoring einen strukturierten Ansatz, um aus einem oftmals weitläufigen Begriff ein wissenschaftliches Konzept zu machen. Denn «Carpe Diem» oder «lebe deinen Tag, als wäre es dein letzter» sind in der heutigen Welt überall zu hören und zu lesen, doch oftmals ist geniessen einfacher gesagt als getan. Die zunehmende Komplexität und Dynamik der Arbeitswelt 4.0 erschwert ein achtsames Innehalten und Geniessen, obwohl genau das gegenwärtig von grossem Vorteil wäre. Die einzelnen Schritte und Arten des Geniessens können wir in der Praxis einsetzen, um die Resilienz unserer Kunden und Kundinnen zu fördern. Mit Fragen wie «Worauf sind Sie besonders stolz? Wofür sind Sie gerade sehr dankbar? Worauf freuen Sie sich, wenn sie an die kommende Woche denken?» fördern wir nicht nur die Kompetenz des Geniessens und die damit einhergehenden Ressourcen, sondern die gesamte Resilienz unseres Gegenübers.

Zudem haben die drei Stufen des Geniessens in Begleitungen einen edukativen Wert. Mit ihnen haben wir ein Werkzeug in unserem Koffer, um unseren Kundinnen und Kunden die Wissenschaft hinter dem Geniessen verständlich näherzubringen und somit ihr Wohlbefinden zu steigern. Beispielsweise durch Achtsamkeits- und Entspannungsübungen haben wir wichtige Tools zur Hand, um dies umzusetzen. Dafür brauchen wir das Leben unserer Kundinnen und Kunden nicht zu verändern in Hinsicht auf mehr Genussmomente, sondern unterstützen sie beim Innehalten und Geniessen eines schönen Moments. 


Quellenangaben

Bryant, Fred & Verhoff, Joseph (2007): Savoring: A new model of positive experience. Lawrence Erlbaum Associates Publishers.

Smith, Jennifer & Bryant, Fred (2017): Savoring and wellbeing: Mapping the cognitive-emotional terrain of the happy mind. In M. Robinson & M. Eid (Eds.), The happy mind: Cognitive contributions to wellbeing. Springer.

Smith, Jennifer & Hollinger-Smith, Linda (2015): Savoring, resilience, and psychological well-being in older adults. Aging & Mental Health, 19(3), 192–200.



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