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Circadiane Uhr

Know-How & Do-How for Coaches im Oktober 2022

Topics für Coaches, betriebl. Mentor/innen, Supervisor/innen und Resilienztrainer/innen wirkungsvoll erklärt

In diesem Monat haben wir bei Sonja Kupferschmid Boxler, Geschäftsführung, nachgefragt, was «circadiane Uhr» bedeutet. Im folgenden Text erläutert sie, woher der Begriff stammt, was darunter zu verstehen ist und wie dieses Wissen in Begleitungsprozesse einfliessen kann.

Circadiane Uhr

Draussen wird es wieder kalt, die Lichteinstrahlung ist kürzer und die Schatten länger. Wenn sich die Zugvögel in den Süden verabschieden, stellt sich bei vielen von uns eine Art Müdigkeit, eine Trägheit ein – viele würden am Morgen am liebsten im Bett bleiben und einfach erst wieder aufstehen, wenn es Frühling wird. Da dies für uns Menschen so nicht möglich ist, hat unser Körper eine andere Lösung für uns gefunden: Die innere bzw. circadiane Uhr. Sie sorgt für eine saisonale Anpassung unseres Körpers - damit wir unsere ganz persönliche Rhythmik nutzen und so unser Wohlbefinden auch in dunklen Zeiten steigern können.  

Definition

Die circadiane Uhr, oder auch innere Zeitrhythmik, ist die körpereigene zeitliche Organisation von biologischen Systemen, ein sogenannter chronobiologischer Prozess. Circadian bedeutet "ungefähr 24 Stunden" oder "rund um den Tag". Er hilft uns Menschen massgelblich dabei, uns an ändernde Umweltbedingungen, wie zum Beispiel Winter und Sommer, anzupassen. Eine der wichtigsten Funktionen ist der Schlaf-Wach-Rhythmus, welcher über die Lichtaufnahme via Sehorgan bzw. über die Hormonausschüttung des Schlafhormons Melatonin funktioniert (Mehlmann & Roenneberg 2014).

Rund um die Uhr - die circadiane Rhythmik 

Unsere innere Uhr ist verbunden mit einer Vielzahl an körperlichen Phänomenen, welche fast auf die Minute genau ablaufen. Diese Phänomene werden durch Botenstoffe gesteuert, welche vom Hirn ausgesandt werden und wie die Natur rhythmischen Zyklen folgen. Folgende Phänomene konnten in zahlreichen Studien beobachtet und auf genau Uhrzeiten standardisiert werden: 


Diese Zeitangaben schwanken und unterscheiden sich von Person zu Person. Jedoch konnte in unzähligen Experimenten festgestellt werden, dass Menschen, welche in totaler Isolation sind (in einem Bunker z.B.) etwa dieselbe innere Rhythmik nachweisen, wie die Kontrollgruppe, die nicht in Isolation war (Baus 2015).

Lerchen und Eulen

Menschen unterscheiden sich in der Länge des 24-Stunden-Rhythmus, dies ist genetisch bedingt. So kommt es, dass manche Leute eher früh, und andere eher spät aufwachen. Diese Eigenschaft wird "Chronotyp" genannt und oftmals auch als "Typ Lerche" (früh) oder "Typ Eule" (spät) definiert. Diese Typen sind Pole eines Kontinuums, also Extreme. Die Typenverteilung ist ähnlich wie die Körpergrösse der Bevölkerung, normalverteilt. Dies bedeutet, dass sich die meisten Menschen irgendwo zwischen diesen zwei Polen bzw. Typen aufhalten. Im Laufe des Lebens, abhängig vom Alter, verändert sich die innere Uhr unabhängig von der Licht-Exposition und der genetischen Veranlagung. So sind wir als Kinder eher Lerchen, werden in der Pubertät immer wie mehr zur Eule, wobei mir im Alter zwischen 19 und 21 Jahren das Maximum erreichen. Von da an verfrüht sich der Rhythmus wieder - Stichwort "senile Bettflucht" - und wir sind wieder so früh dran, wie unsere Enkel und Enkelinnen (Mehlmann & Roenneberg 2014). 

Soziale Taktgeber

Seit der Industrialisierung gewinnen soziale Zeiteinheiten zunehmend an Bedeutung und Einfluss. Solche sozialen Taktgeber sind beispielsweise Arbeitszeiten, Schul- oder Öffnungszeiten. Die sozialen Zeiten stehen oftmals im andauernden Kontrast zu unseren inneren Uhren, viele von uns leben quasi in zwei Zeitzonen: Die Wochenzeit - dominiert durch soziale Taktgeber - und die circadiane Zeit, der wir meist nur an Wochenenden gerecht werden. Dadurch entsteht ein kleiner Jetlag, der sogenannte soziale Jetlag, welcher dieselben Symptome mit sich zieht, wie wenn wir in ein weitentferntes Land reisen: Unbehagen, Müdigkeit, Verdauungs- und Stoffwechselprobleme sowie Konzentrations- und Schlafstörungen. Unsere innere Uhr muss sich der äusseren Gegebenheit anpassen, was je nach Stärke der äusseren Faktoren (v.a. Licht und Temperatur) schneller oder weniger schnell geht. So passen wir unsere Zeitempfindung und die dadurch ausgelösten körperlichen Phänomene wie Schlaf auch den Jahreszeiten an. Beispielsweise im Herbst macht sich das bemerkbar, wenn wir durch das fehlende Licht eher müde sind als im Sommer. Also machen auch Menschen eine Art "Winterschlaf", mit dem Unterschied, dass wir uns die Schlafzunahme auf die Tage aufteilen und nicht wie der Bär an einem Stück monatelang schlafen (Mehlmann & Roenneberg 2014).  

Wer hat an der Uhr gedreht? 

Wir können allerdings einiges dafür tun, dass wir unsere eigene innere Rhythmik mehr berücksichtigen, damit wir unseren Alltag nicht gänzlich entgegen den inneren Uhren bestreiten. Am ehesten können wir durch unsere Ernährung, Bewegung und unseren Schlaf Einfluss nehmen. Wie wir gesehen haben, gibt es über den Tag verteilt gut geeignete Zeitpunkte für die unterschiedlichen Aktivitäten (Draguhn 2015). Im Arbeitskontext können Organisationen anhand flexibler Arbeitszeiten oder Jahresarbeitszeiten der inneren Uhr mehr Freiraum bieten als in festen Arbeitszeitmodellen. Gerade im Winter kann uns das helfen, die circadiane Uhr und die saisonalen Veränderungen in Einklang zu bringen.
 


Praxistipp für Begleitungsprozesse

Was bringt mir dieses Wissen in der Praxis?

Um in der Arbeitswelt 4.0 gesund unterwegs zu sein, ist eine Übereinkunft äusserer Bedingungen mit den inneren Bedürfnissen zentral. Als Begleitungspersonen unterstützen wir unsere Kundinnen und Kunden dabei diese Balance zu finden und zu stärken. Dabei spielen das Wechselspiel zwischen Flexibilität und Stabilität, einfacher gesagt die Resilienz, eine grosse Rolle. Indem ein Verständnis für chronobiologische Rhythmen geschaffen und für die Vor- und Nachteile bestimmter Tagesstrukturen sensibilisiert wird, ermutigen wir unser Gegenüber sich vertieft mit dem ganz persönlichen Uhrensystem sowie auch den inneren Bedürfnissen auseinanderzusetzen. Dadurch werden Ressourcen aktiviert (z.B. indem der individuelle «Chronotyp» erkannt und in die Tagesstruktur integriert wird), Ressourcen gestärkt (z.B. indem der soziale Jetlag frühzeitig wahrgenommen und geeignete Gegenmassnahmen angewendet werden) und die gesamte Resilienz gefördert. Mit dem Wissen rund um die circadiane Uhr fungieren wir also als Wegbereitende für ein stimmigeres Selbstmanagement und fördern so das Wohlbefinden unseren Kundinnen und Kunden – um zwischen der äusseren und inneren Lebenswelt eine Brücke zu bauen und so auch in der Arbeitswelt 4.0 gesund unterwegs zu sein.


Quellenangaben

Baus, Lars (2015): Selbstmanagement: Die Arbeit ist ein ewiger Fluss - Gelassener arbeiten und besser leben. Wiesbaden: Springer. 

Draguhn, Andreas (2015): Zeit als Rhythmus. Wie biologische Uhren unser Leben bestimmen. In G. Hartung (Hrsg.), Mensch und Zeit (S. 157-167). Wiesbaden: Springer. 

Mehlmann, Joanna & Roenneberg, Till (2014): Licht und die circadiane Uhr des Menschen. In: S. Völker & H. Schumacher (Hrsg.), 8. Symposium Licht und Gesundheit (S. 143-154). Berlin: Universitätsverlag der TU Berlin. 
 

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