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Holacracy

Know-How & Do-How for Coaches im Oktober 2023

Lesedauer: ca. 6 Minuten

Aktuelle Begriffe aus der Coachingwelt einfach und praxisnah erklärt.

Lerne in diesem Monat den Begriff «Holacracy» kennen - erfahre durch Karin Sidler, Geschäftsführung, was darunter zu verstehen ist und wie du dieses Wissen in deinen Praxisalltag als Begleitungsperson wirkungsvoll integrieren kannst.

 

Holacracy

Die zunehmende Unsicherheit, Mehrdeutigkeit und Komplexität der VUCA-Welt macht viele Organisationen mit herkömmlichen, hierarchischen Führungsstrukturen volatil – also verletzlich und angreifbar. Um in einer vernetzten und digitalisierten Umgebung Agilität zu erlangen und dadurch als individuelle Arbeitskraft zu wachsen, flexibel und zukunftsfähig zu sein, braucht es neue Organisationsformen und dazu passende Führungsansätze. Holacracy bietet einen vollumfänglichen Organisations- und Führungsstil, der das Individuum in den Fokus stellt und Hierarchien abbaut, um im digitalen Wandel anpassungsfähig zu sein und zu bleiben (Bernstein et al. 2020).

Definition

Holacracy, zu Deutsch «Holokratie» setzt sich aus den altgriechischen Worten «holos», vollständig und ganz, sowie «kratia», Herrschaft, zusammen. Holacracy ist eine von Brian Robertson im Jahre 2015 entwickelte Organisationsform, welche das Bestreben hat, hierarchische Strukturen und dadurch Machtverhältnisse sowie Intransparenz durch vollumfängliche Partizipation der Mitarbeitenden abzulösen. Das bedeutet, dass Entscheidungs- und Handlungsbefugnisse auf alle Organisationsmitglieder aufgeteilt werden, ohne dabei ein «Oberhaupt» zu haben. Das Prinzip von Holacracy fusst auf den Grundstrukturen der Soziokratie, welche die Selbstorganisation zum Ziel hat (Fallgatter 2020).

Drei Grundprinzipien der Holacracy

Statt Personen mit unterschiedlichen Autoritäten (klassische Hierarchie) stehen bei Holacracy unterschiedliche Rollen im Vordergrund. Bei diesen Rollen handelt es sich um spezifische Funktionen und Tätigkeitsfelder im Unternehmen, wobei eine einzelne Person auch mehrere Rollen übernehmen kann. Das Ziel der Holacracy ist es, die klassische hierarchische Sichtweise auf eine Organisation durch eine übergreifende prozessorientierte Sicht zu ergänzen. So lassen sich wesentliche Grundprinzipien festlegen: das Kreismodell, die integrative Entscheidungsfindung und die Doppelverbindung (Eckert 2018).  

Kreismodell

Eine Holacracy ist in Kreisen, nicht in klassisch hierarchischen Organigrammen angelegt. Unter einem Kreis wird ein selbstorganisiertes Team verstanden. Dabei hat jeder Kreis einen bestimmten Zweck oder auch Ziel und besitzt die Autorität, die eigenen Rollen und Zuständigkeiten im Kreis autonom zu vergeben. Diese Kreise sind wiederrum Teile eines umfassenderen Kreises, dessen Anforderungen erfüllt werden müssen. Beispielsweise arbeitet eine Kartoffelpflückerin (Rolle im kleinen Kreis) gleichzeitig im übergreifenden Kreis der Nahrungsmittelproduktion eines Bauernhofs. Zur Erfüllung der Aufgabe innerhalb der eigenen Rolle ist die Pflückerin gänzlich autonom. Sie entschiedet selbst, mit welcher Hand sie die Gemüseballen erntet. Da sie jedoch mit anderen Kreisen, beispielsweise dem Transport zusammenarbeitet, kann sie nur «teilautonom» entscheiden, wo sie die Ernte platziert. Dafür muss sie sich mit dem Transport-Kreis in Verbindung setzen. Ein Kreis besteht somit aus einem Bündel an verschiedenen Rollen, die nötig sind, um den Zweck des grösseren Kreises zu erfüllen.

Doppelverbindung

Da es in der Holacracy unterschiedliche (teil-)autonome Einheiten (Kreise) gibt, müssen diese wie im Beispiel der Kartoffelpflückerin beschrieben, untereinander kommunizieren. Hierfür werden in jedem Kreis eine oder mehrere Personen basisdemokratisch bestimmt. Diese teilen Informationen aus ihrem Kreis und vertreten dessen Interessen im Nachbarskreis und sind somit doppelt verbunden. So können die einzelnen Kreise nicht aneinander vorbei arbeiten.

Integrative Entscheidungsfindung

Bedeutende Steuerungsentscheidungen, beispielsweise die Frage, wann die Pflückerin und der Transport aufs Feld gehen, fallen per integrativer Entscheidungsfindung. Das bedeutet, dass keine perfekte, sondern eine für die Praxis relevante und brauchbare Lösung gesucht wird, die sich erst noch bewähren muss und daher von jedem Organisationsmitglied (integrativ) geändert werden kann. So kommt es, dass in holokratischen Firmen im Vergleich zu klassisch organisierten Firmen die Mitarbeitenden mehr Möglichkeiten haben, ihre Ideen und Vorschläge einzubringen. Der Vorteil dadurch ist nicht nur die Ermächtigung der Einzelperson, sondern auch, dass Entscheidungen schneller getroffen werden können und keine starren Unterschriftsschleifen entstehen (Eckert 2018).    

Gerade die schnellen Entscheidungsfindungen und flexiblen Kommunikationswege sind unabdingbar, wenn es darum geht, erfolgreich in der neuen Arbeitswelt 4.0 unterwegs zu sein.

Holacracy und die Arbeitswelt 4.0

Die Prinzipen der Holacracy lassen sich in kleinen, mittelständischen Organisationen, die agil auf Veränderungen der Umwelt reagieren müssen, leichter realisieren als in Grossunternehmen mit starren Strukturen. In Letzteren braucht es oft zuerst grossflächige Change-Management-Installationen, weshalb Holacracy anfangs in kleineren Abteilungen getestet werden sollte.

Angesichts des Wertewandels hin zu mehr Sinnhaftigkeit, Flexibilität und Agilität in der Arbeitswelt, kann ein holokratischer Führungsansatz vielversprechend sein. Die autonome Selbstermächtigung, die Arbeit in Teams und kurze, effiziente Kommunikationsschlaufen als Merkmale der Holacracy entsprechen dem aktuellen Zeitgeist. Innovation und inkludierende Entscheidungsverfahren bestimmen letztlich, welche Organisation nachhaltig marktfähig und hinsichtlich der Mitarbeitenden menschzentriert und entwicklungsfreudig zukunftsfähig ist (Jeromin, Jourdan & von Nell 2018).

Praxistipp für Begleitungsprozesse

Was bringt mir dieses Wissen in der Praxis?

Die Arbeitswelt 4.0 verändert die gesuchten Kompetenzprofile, die Zusammenarbeit im Team sowie die Rollen innerhalb ganzer Organisationen. Als Begleitungspersonen unterstützen wir Menschen bei diesen beruflichen Herausforderungen – wir stärken ihre persönliche Entwicklung und begleiten Teams und Organisationen auf dem Weg zur erfolgreichen Transformation.

Holacracy als Ansatz für Klarheit und effektive Zusammenarbeit, bietet dabei ein wirkungsvolles Werkzeug, um die Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung der Mitarbeitenden zu stärken, effektive Entscheidungsprozesse zu fördern und Rollenwechsel erfolgreich zu meistern. Indem wir diesen Ansatz bewusst in unsere Begleitungspraxis integrieren, unterstützen wir unter anderem Führungskräfte auf dem Weg zu mehr Agilität und Flexibilität sowie Teams und Individuen zur Selbstorganisation. Mit den holokratischen Prinzipien Ermächtigung, Autonomie und integrative Entscheidungsfindung als Mindset können wir die Widerstandskraft von ganzen Organisationen stärken, um auch in Zukunft erfolgreich unterwegs zu sein.


Quellenangaben

Bernstein, Ethan / Bunch, John / Canner, Niko & Lee, Michael (2020): Selbstorganisation und Unternehmen: Was ist dran am Holokratie-Hype?. Harvard Business manager, 4/2017. Verfügbar unter: www.manager-magazin.de/harvard/fuehrung/selbstorganisation-in-unternehmen-was-ist-dran-am-holokratie-hype

Eckert, Roland (2018): Intelligente Echtzeitunternehmen im digitalen Hyperwettbewerb: Multiple Geschäftsmodelle – Hybride Organisationsmodelle – Vernetzte Ökosysteme. Wiesbaden: Springer.

Fallgatter, Michael (2020): Management und Managementerfolg: Analyse, Prognose und Gestaltung. Wiesbaden: Springer.

Jeromin, Justus / Jourdan, Gabriel & von Nell, Filippa (2018): Leadership und Organisationen mit reduzierten Hierarchien: Praxiswissen für die Führungsaufgabe. Wiesbaden: Springer.



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